Arte

Ein faszinierendes Monster von einem Film

Der Schriftsteller Hans Fallada in seinem Arbeitszimmer auf seiner Büdnerei in Mecklenburg. Foto: picture alliance / ullstein bild - ullstein bild

Arte

Ein faszinierendes Monster von einem Film

Ein neuer Dokumentarfilm beleuchtet das Leben und Wirken von Schriftstellern während der NS-Zeit, die nicht emigrierten. Deutlich wird auch der enorme Verlust, den die Kultur durch die Nazis erlitten hat

von Lukas Foerster  07.02.2025 12:02 Uhr

»Jeder stirbt für sich allein«, lautet der Titel eines Romans, den Hans Fallada Ende 1946 schrieb, wenige Wochen vor seinem Tod. Er erzählt die wahre Geschichte der Eheleute Otto und Elise Hampel, die in der Nazi-Zeit literarisch aktiv waren - als Widerständler, die die Bevölkerung per ausgelegten Postkarten zum Widerstand aufriefen und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Fallada selbst hatte zwischen 1933 und 1945 ebenfalls in Deutschland gelebt und geschrieben - allerdings nicht gegen das System, sondern zumindest insoweit angepasst, dass seine Werke die offizielle Zensur passieren konnten.

Wie verhält sich der Fall Hampel zum Fall Fallada? Hat der Autor jenen Mut im Angesicht des Terrors, den er selbst nicht hatte, stellvertretend literarisch von zwei Antifaschisten ausagieren lassen? Schreibt er sich damit von der eigenen Schuld frei? Oder ist das Buch, ganz im Gegenteil, eine verkappte Selbstanklage? Fragen dieser Art widmet sich Anatol Regniers Buch »Jeder schreibt für sich allein« (2020) über Schriftsteller im nationalsozialistischen Deutschland. Im Anschluss an dieses Unternehmen hat Dominik Graf einen knapp dreistündigen Dokumentarfilm gedreht, in dem Regnier selbst eine zentrale, angenehme Präsenz hat. Arte zeigt den Film am 17. Februar ab 22.45 Uhr.

Über Deutschland und seine Geschichte

Neben dem Autor der Vorlage tauchen gelegentlich Schriftsteller und Intellektuelle der Gegenwart als Kommentatoren auf. Hauptsächlich entfaltet sich der Film jedoch in essayistischer Manier, im Zusammenspiel von mal eng am historischen Geschehen klebenden, mal assoziative Sprünge vollziehenden Voice-Over-Stimmen und disparatem Bild- und Bewegtbildmaterial.

Entstanden ist ein faszinierendes Monster von einem Film; sicher nicht einer der besten Dokumentarfilme von Graf, aber einer, der tief ins Innere des Werks eines Regisseurs zielt, der in fast jedem seiner Filme über Deutschland und seine Geschichte nachdenkt.

Es ist eine schwierige Aufgabe, die »Jeder schreibt für sich allein« stellt: Einerseits dürfe man, wie wiederholt betont wird, die Frage nach Schuld oder Unschuld nicht verabsolutieren; insbesondere müsse man sie historisieren, also stets mitbedenken, dass zu dem Zeitpunkt, als sich die Frage »emigrieren oder nicht?« stellte, niemand das ganze Ausmaß der kommenden Schrecken mit Sicherheit vorhersagen konnte. Andererseits möchte der Film keineswegs jene Lebenslügen perpetuieren, die viele Betroffene nach dem Krieg sich selbst und anderen erzählten.

Brutale Anfeindung

Mit fast allem könne man leben, nur nicht mit Schuld, heißt es an einer Stelle, weshalb viele derer, die nach 1933 in Deutschland geblieben sind, schon am Tag der Kapitulation damit begannen, sich zu überlegen, wie sie ihren eigenen Anteil daran wieder loswerden könnten. So wird verständlich, warum der exilierte Thomas Mann nach dem Krieg von den Daheimgebliebenen brutal angefeindet wurde, als er anzumerken wagte, dass sich die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis nicht auf den engsten Kreis der Hitlergetreuen beschränke, sondern in mancher Hinsicht auf alles Deutsche abgefärbt habe. Und so ist auch die Karriere des Begriffs der »inneren Emigration« erklärbar, der in Grafs Film insbesondere vom Dichter Albert von Schirnding hart attackiert wird.

Lesen Sie auch

»Jeder schreibt für sich allein«: Der Titel ist durchaus Programm, und Grafs Film macht zu weiten Teilen nichts anderes, als geduldig aufzuzeigen, was das von Fall zu Fall heißt. Nicht wenige waren durchaus mit Feuer und Flamme dabei. Kaum jemand erinnert sich heute noch an literarische NS-Überzeugungstäter wie Will Vesper und Hanns Johst. Umso wichtiger, dass Grafs Film sie nicht unter den Tisch fallen lässt.

»Jeder schreibt für sich allein«, Regie: Dominik Graf. Arte, Mo 17.02., 22.45 - 01.35 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.

Filmkritik

»Nobody Wants This« – die Zweite

Die Fortsetzung der Netflix-Hit-Serie »Nobody Wants This« ist angelaufen. Allerdings sorgen diesmal vor allem die Nebenrollen für randvolle Herzen. Vorsicht Spoiler.

von Sophie Albers Ben Chamo  06.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  06.11.2025

Kunst

Maler und Mentor

Eine Ausstellung in Baden-Baden zeigt Max Liebermann auch als Förderer impressionistischer Kollegen

von Eugen El  06.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 06.11.2025

Film

»Vielleicht eines der letzten Zeitdokumente dieser Art«

Die beiden Regisseure von »Das Ungesagte« über ihre Doku mit NS-Opfern und ehemaligen Mitläufern, Kino als Gesprächsraum und die Medienkompetenz von Jugendlichen

von Katrin Richter  06.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Yitzhak Rabin

Erinnerung an einen Mord

Wie ich am 4. November 1995 im Café Moment in der Jerusalemer Azza Street vom tödlichen Anschlag auf Israels Ministerpräsident in Tel Aviv erfuhr

von Ayala Goldmann  04.11.2025

TV-Tipp

»Nürnberg 45 - Im Angesicht des Bösen«

Das Dokudrama rekonstruiert die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse vor 80 Jahren

von Jan Lehr  04.11.2025

Hollywood

Jesse Eisenberg will eine seiner Nieren spenden

Der Schauspieler hatte die Idee dazu bereits vor zehn Jahren

 03.11.2025