Film

Dreyfus auf der Leinwand

Der Film erzählt die Geschichte des Offiziers Alfred Dreyfus, der Opfer einer judenfeindlichen Intrige wird. Foto: imago

Film

Dreyfus auf der Leinwand

»Intrige«: Das neue Drama von Oscarpreisträger Roman Polanski läuft in den Kinos an

von Aliki Nassoufis  05.02.2020 10:59 Uhr

»J’accuse«, ich klage an – so heißt der neue Film von Roman Polanski im französischen Original. An diesem Donnerstag läuft er in deutschen Kinos an. Obwohl der Oscarpreisträger darin von einem politischen Skandal erzählt, der das Land vor mehr als 100 Jahren erschütterte, könnte der Titel auch als persönliche Abrechnung des Regisseurs verstanden werden.

Immerhin holten Polanski im Zuge der #MeToo-Bewegung seine eigene Vergangenheit und ein Missbrauchsfall aus dem Jahr 1977 wieder ein. In seinem aktuellen Werk »Intrige« thematisiert der 86-Jährige nun eine verlogene Gesellschaft, der die Wahrheit nicht so wichtig ist wie Vorverurteilungen und der Erhalt von Macht.

Hochverrat »Intrige« spielt in Paris Ende des 19. Jahrhunderts. 1894 wird Alfred Dreyfus (Louis Garrel) von einem Militärgericht wegen Hochverrats verurteilt und wenig später aus der Armee entlassen. Dreyfus beteuert zwar seine Unschuld, doch er wird auf eine einsame Insel verbannt. Das Volk jubelt und die Militärelite atmet erleichtert auf. »Die Römer gaben den Löwen Christen, wir geben ihnen Juden«, sagt einer.

Major Georges Picquart (Jean Dujardin aus »The Artist«) wird danach sogar befördert. Er hatte sich aus Sicht der Regierung in der Dreyfus-Affäre bewährt und wird im Auslandsnachrichtendienst Abteilungsleiter. Dort fallen ihm allerdings gravierende Missstände und Missmanagement auf.

Bei seinen Recherchen zum Fall Dreyfus stößt er auf ein Geflecht aus Lügen und Intrigen: Beweismittel wurden gefälscht, Indizien bewusst in eine bestimmte Richtung ausgelegt. Die Wahrheit war einigen Verantwortlichen dabei egal. Lieber glaubten sie Gerüchten, die ihre Hierarchien stärkten und ihr Weltbild bestätigten. Ein Jude ein Sündenbock, das passte gut in die antisemitische Stimmung.

Diesen historischen, auf wahren Begebenheiten basierenden Stoff inszeniert Regisseur Polanski als ein mit seinem ruhigen Sog sehr packendes Drama und spannenden Krimi. Denn die Aufarbeitung des Dreyfus-Falles ist kompliziert und riskant, auch weil Picquart auf viel Gegenwehr trifft. Vor allem aber wird so erst das eigentliche juristische und politische Ausmaß der Affäre deutlich, die die Regierung in eine tiefe Krise stürzen wird.

Will der Regisseur mit  »J’accuse« auch eine persönliche Geschichte erzählen? Die US-Justiz hält an dem Verfahren wegen Sex mit einer 13-Jährigen im Jahr 1977 fest.

Verfahren »J’accuse« steht schließlich auf der Titelseite einer großen Tageszeitung – und genau so nennt auch Polanski seinen Film. Darin behandelt er zwar ausschließlich die Dreyfus-Affäre. Dennoch fragt man sich, ob der Regisseur damit nicht auch eine persönliche Geschichte erzählen will.

1977 hatte er Sex mit einer 13-Jährigen und floh vor der Urteilsverkündung aus den USA. Danach schuf er Kinoklassiker wie das mit drei Oscars ausgezeichnete Holocaust-Drama »Der Pianist«. Das Opfer selbst setzt sich für die Einstellung des Verfahrens gegen Polanski ein. Doch die US-Justiz hält daran fest und im Zuge der #MeToo-Bewegung wurde der Regisseur 2018 aus der Oscarakademie ausgeschlossen.

Mit »Intrige« beweist Polanski nun aber erneut, dass er zu den großen Filmemachern seiner Generation gehört und auch mit 86 Jahren nichts von seiner Erzählkunst und seine Filme nichts von ihrer visuellen Kraft verloren haben: Die Ausstattung ist detailreich wie opulent und die Bilder so majestätisch eingefangen, dass sie auf der großen Kinoleinwand bestens zur Geltung kommen.

Rückblenden Polanski nimmt sich Zeit für Rückblenden und eine akribische Aufarbeitung des Falls –ohne dabei aber je zu langatmig zu werden. Keine Szene ist zu viel, kein Dialog zu lang.

Stattdessen offenbart »Intrige« ein von innen verrottetes System. Es geht um Vertuschung, Verdrehung von Fakten, Hass und Verleumdung von Medien. Polanski zeigt was passiert, wenn aus Gerüchten Fakten werden und man sich die Gegenseite gar nicht anhört, weil man von seiner Sicht auf die Dinge fest überzeugt ist.

»Intrige«, der beim Filmfestival Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, regt das Publikum zum Nachdenken an – über Polanski, aber auch Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025