München

Dreihundert Tonspuren

Klick für Klick Geschichte: Memory Loops Foto: memoryloops

»Es ist kein didaktischer Audio-Walk, es funktioniert eher wie eine Schallplatte – wie gute Musik, die viel zu erzählen weiß«, sagt Michaela Melián über ihr Projekt. »Memory Loops« erinnert mit 300 Tonspuren, die über einen virtuellen Stadtplan verteilt sind, an Orte des NS-Terrors in München zwischen 1933 und 1945.

Am 23. September wurde dieses Denkmal in München eröffnet, das heißt, die Internetseite memoryloops.net wurde freigeschaltet. Übersetzt als »Erinnerungsschleifen« ist es eine Antwort auf die langjährige Debatte, wie München mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit umgehen will. Hierfür schrieb die Stadt 2008 einen Kunstwettbewerb unter dem Titel »Opfer des Nationalsozialismus – Neue Formen des Erinnerns und Gedenkens« aus. Ein konkreter Ort war nicht vorgesehen.

sehen Mit ihrem Konzept des hörbaren Erinnerns gewann Michaela Melián, Künstlerin, Musikerin und Professorin für zeitbezogene Medien in Hamburg, den Wettbewerb und entwarf ihr Werk als Internetseite. Hierfür verarbeitete sie Zeitdokumente, Briefwechsel oder Radiosendungen zu Tonspuren. Sie legt ihr Augenmerk auf zeitliche Kontinuitäten, die sich nicht in die Klammer »1933–1945« pressen lassen, und auf Quellen, die die offizielle Geschichtsschreibung für unwichtig erachtet. Neu eingesprochen und mit Musik unterlegt, sind die Spuren nach Orten wie »Arisierungsstelle« oder »Polizeipräsidium« auf der Seite kartografiert. Von hier können sie heruntergeladen, zu Playlists zusammengestellt und auf einem Rundgang durch die Stadt angehört werden.

»Es bleibt nicht immer dieselbe Erzählung«, sagt Melián und zeigt, wie viele Stimmen nebeneinander und gleichzeitig an einem Ort, in einer Situation, vorkommen. Als Schlüsselerzählung entpuppte sich für sie der Bericht eines ausländischen Jugendlichen, der die Angriffe auf die Synagoge während der Pogromnacht sah und seine Eindrücke niederschrieb. Mit ihm waren damals viele Menschen in der Stadt unterwegs, auch weil dieser Tag den gescheiterten Hitlerputsch von 1923 feierte: Die Theater waren ausgebucht, die Cabarets und Kinos gut besucht. »Sie müssen etwas gesehen haben, und auf diesen Punkt wollte ich hinsteuern«, so Melián. Ein Kind liest nun das kulturelle Veranstaltungsprogramm des 9. November 1938.

stimmen Mit Kinderstimmen arbeitete Melián schon bei »Föhrenwald«, einem Kunstprojekt, das sich auf eine sozio-politische Spurensuche in der gleichnamigen Musterwohnsiedlung begibt, die in den 30er-Jahren angelegt wurde. Von dem Einsatz von Kinderstimmen erhofft sie sich einen härteren Kontrast, wenn beispielsweise 13-Jährige den Briefwechsel mit Nazibehörden einsprechen. Auch sollen die jugendlichen Stimmen hörbar machen, dass Menschen, die damals verhaftet oder geschlagen wurden, jung waren und nicht als 90-Jährige berichten. So soll eine größere Nähe hergestellt werden, die es jüngeren Generationen leichter macht, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und zu identifizieren.

Anders als physische und visuelle Orte der Erinnerung ist Memory Loops »keine Säule mit Text«, wie es Melián formuliert, sondern »ein virtuelles Gebäude«. Es zwingt »Besucher« zum Zuhören, da erst einmal nicht ersichtlich ist, wer spricht. Dieses Gebäude ist nicht nach Themen wie »Euthanasie«, »Sinti und Roma« oder »Juden« sortiert und stellt keine persönlichen Erfahrungen in den Vordergrund. »Einer Person wird hier nicht ihre Biografie zurückgegeben, sondern sie wird stellvertretend für viele andere, die keine Stimme haben, bearbeitet und vorgestellt«, erklärt Melián. Geschichten von Menschen, die schon 1922 in der Münchner Innenstadt verprügelt wurden, wenn sie den Hut nicht vor den SA-Männern zogen, gehören ebenso dazu wie das politische Desinteresse nach 1945, das Konzentrationslager Dachau in eine Gedenkstätte umzuwandeln.

www.memoryloops.net

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025

Debatte

Rafael Seligmann: Juden nicht wie »Exoten« behandeln

Mehr Normalität im Umgang miteinander - das wünscht sich Autor Rafael Seligmann für Juden und Nichtjuden in Deutschland. Mit Blick auf den Gaza-Krieg mahnt er, auch diplomatisch weiter nach einer Lösung zu suchen

 18.09.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  18.09.2025

»Long Story Short«

Die Schwoopers

Lachen, weinen, glotzen: Die Serie von Raphael Bob-Waksberg ist ein unterhaltsamer Streaming-Marathon für alle, die nach den Feiertagen immer noch Lust auf jüdische Familie haben

von Katrin Richter  18.09.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 18. September bis zum 2. Oktober

 18.09.2025

Fußball

Mainz 05 und Ex-Spieler El Ghazi suchen gütliche Einigung

Das Arbeitsgericht Mainz hatte im vergangenen Juli die von Mainz 05 ausgesprochene Kündigung für unwirksam erklärt

 18.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 18.09.2025

Berlin

Mut im Angesicht des Grauens: »Gerechte unter den Völkern« im Porträt

Das Buch sei »eine Lektion, die uns lehrt, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten Menschen gab, die das Gute dem Bösen vorzogen«, heißt es im Vorwort

 17.09.2025