Streitschrift

Drei Typen von Autokraten?

Rafael Seligmann nennt sie »Brandstifter«: Wladimir Putin, Donald Trump und Benjamin Netanjahu (v.l.) Foto: picture alliance, Grafik: Clara Wischnewski

Rafael Seligmann hatte sich zuletzt in einer ergreifenden Trilogie der Geschichte der eigenen Familie zugewandt. In seinem jüngsten Buch, das großenteils vor dem 7. Oktober 2023 entstand, widmet er sich nun Politikern, genauer gesagt, einer gewissen Spezies unter ihnen, die er Brandstifter und ihre Mitläufer nennt. Im Untertitel wird das näher erläutert: Putin – Trump – Netan­yahu. Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann. Das ist ein provokanter Titel, denn Seligmann packt da mal eben drei Namen zusammen, die politisch auf den ersten Blick nicht so recht zusammengehören. Allerdings erläutert er später, warum sie seiner Ansicht nach doch zueinander passen.

Im Buch werden die Brandstifter der Gegenwart noch um die Namen Erdoğan und Xi Jinping erweitert. Dazu benennt Seligmann auch historische Zündler wie etwa Alexander den Großen oder Napoleon, die als Bellizisten am liebsten äußere Kriege entfachten, während andere sich auf eine »autoritäre Regentschaft im eigenen Land« beschränken und externe Konflikte vermeiden. Hier nennt Rafael Seligmann die Namen Franco, Pinochet, Trump, Netanjahu und Orbán.

Der Autor schlägt einen großen Bogen

Das ist ein großer Bogen, den der streitbare Autor da schlägt auf nur 176 Seiten – zumal er auch noch Lösungen anbietet, wie sich gegen politische Brandstifter vorgehen lässt. Zunächst schildert Seligmann, was einen politischen Brandstifter ausmacht. Dabei greift er auch auf literarische Deutungen zurück, wie etwa Dostojewskis Der Spieler, Max Frischs Biedermann und die Brandstifter sowie Shakespeares Richard III.

»Autokrat« bedeutet bildungssprachlich »selbstherrliche männliche Person«.

Es ist der wohl stärkste Teil des Buches, wenn Rafael Seligmann die Typologien der politischen und historischen Protagonisten anhand der genannten literarischen Vorlagen analysiert: »Ein entscheidender Unterschied zwischen Dostojewskis Spielern und Brandstiftern à la Napoleon und Putin ist nicht nur die Art und Höhe, sondern auch die Komplexität des Einsatzes.«

Einen Satz später ist er bereits beim nächsten Buch, Max Frischs Biedermann und die Brandstifter: »Der Brandstifter kann seine volle kriminelle Energie erst im Zusammenwirken mit den Biedermännern entfalten.« Und weiter: »Die Zustimmung der Biedermänner ist die Geschäftsgrundlage aller politischer Autokraten.«

Klassifizierung bestimmter Politiker oder Despoten mittels literarischer Vorlagen

Die Klassifizierung bestimmter Politiker und/oder Despoten mittels literarischer Vorlagen ist ein gelungener feuilletonistischer Coup des Autors. Allerdings ist bei einigen schwungvollen Allgemeinplätzen doch die eine oder andere Unschärfe festzustellen.

So hält die These, dass Autokraten bei gesellschaftlich Abgehängten und denen punkten, »die fürchten, den fortwährenden Herausforderungen des digitalen Zeitalters nicht gewachsen zu sein«, etwa dem Beispiel China nicht stand. Dort ist es gerade die Kombination aus rapider Digitalisierung und daraus resultierendem individuellen Wohlstand, der Xi seine unangefochtene Position sichert.

»Der Vernichter« Adolf Hitler bekommt in der Reihe der Despoten die Singularität des Grauens, die ihm aufgrund seiner Untaten historisch als Brandstifter gebührt, zugestanden. Ansonsten erweckt die Auflistung von »Brandstiftern der Gegenwart« auch ein gewisses Unbehagen: Wladimir Putin, Xi Jinping, Recep Tayyip Erdoğan, Benjamin Netanjahu und Donald Trump. Jedem dieser Politiker widmet Seligmann ein eigenes biografisches Psychogramm.

Dass dabei Benjamin Netanjahu mit von der Partie ist, mag nicht jeder begrüßen. Die Analyse von »Bibis« politischer Vita, die Seligmann seit Jahrzehnten verfolgt, ist sicherlich kontrovers. Der Hauptvorwurf, dass Netanjahu durch die Spaltung der Gesellschaft, die »Justizreform« und die daraus entstehenden Verwerfungen den 7. Oktober erst ermöglicht habe, ist aber gut begründet.

Dass Benjamin Netanjahu mit von der Partie ist, mag nicht jeder begrüßen.

Ungenau ist allerdings die Kategorisierung Netanjahus als »Autokrat« wie Despoten à la Erdoğan. Denn ein »Alleinherrscher, der die unumschränkte Staatsgewalt für sich beansprucht«, so die politische Definition des Begriffs, ist der demokratisch gewählte Regierungschef Israels nicht.

Allerdings steht Autokrat bildungssprachlich auch noch für eine »selbstherrliche männliche Person«. Das kommt einer charakterlichen Deutung schon näher. Es sind aber derlei kleine argumentative Unschärfen, die hin und wieder den Lesefluss ein wenig stören.

So informativ wie lesenswert

Die Miniaturen über die genannten Personen sind so informativ wie lesenswert – genauso überzeugend ist die Hinführung zur Thematik der Brandstifter und die Lösungsvorschläge, die Seligmann am Ende seiner Streitschrift anbietet: »Demokratie ist kein Schlaraffenland. Das effektivste freiheitliche System und eine glaubwürdige Regierungspolitik sind lediglich Funktionen bürgerlichen Engagements. Nur wenn die Bevölkerung den Staat und die Regierungspolitik unterstützt, sind sie in der Lage, Aggressoren glaubwürdig entgegenzutreten und ihnen notfalls das Handwerk zu legen.«

Dieses Buch ist also ein Handlungsaufruf für mehr bürgerliches Engagement. Es fordert zum Nachdenken auf und erregt Widerspruch – genau das ist der Sinn einer politischen Streitschrift.

Rafael Seligmann: »Brandstifter und ihre Mitläufer: Putin – Trump – Netanyahu. Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann«. Herder, Freiburg 2024, 176 S., 18 €

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