Roman

Dokumente der Unmenschlichkeit

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Dokumente der Unmenschlichkeit

Raquel Erdtmann analysiert in ihrem neuen Buch den Justizmord an Joseph Süßkind Oppenheimer

von Maria Ossowski  26.08.2024 23:21 Uhr

Das Verfahren war eine Farce, die Justiz im pietistischen Württemberg zutiefst judenfeindlich und der Mord an einem Freigeist, der dennoch sein Judentum lebte und nie konvertieren wollte, ein Skandal. »Seit der Kindheit ein spitzer Stein in meinem Schuh«, so nennt die renommierte Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß.

Sie hat deshalb ein hervorragend recherchiertes, juristisch bestens informiertes und lebendig geschriebenes neues Werk zu dieser Ur-Blamage der Rechtsfindung in einem deutschen Kleinstaat verfasst. Die Geschichte des Joseph Süßkind Oppenheimer, hundertfach berichtet und beschrieben, wirkt immer noch nach und ist in Zeiten des wachsenden Judenhasses besonders aktuell.

Die meisten Berichte, Erzählungen oder Romane hatten eines gemeinsam: Nur wenige Autoren haben sich intensiv mit den acht Regalmetern Quellen beschäftigt, den Gerichtsakten, Korrespondenzen, Kassibern, der erst seit 2011 zugänglichen »Defensionsschrift« des Verteidigers Michael Mögling oder dem dokumentierten Raub an den Besitztümern des Angeklagten, lang bevor das Urteil gesprochen war.

Seinen Erfolg neideten ihm Christen und Juden gleichermaßen.

Erdtmann aber hat die Schriftstücke akribisch untersucht und lesbar aufbereitet, sie zudem eingeordnet in die Zeitläufte des 18. Jahrhunderts und in die differenzierte Erklärung der Modernität dieses »Wanderers zwischen den Welten«, als den sie Oppenheimer beschreibt. Seinen Erfolg neideten ihm Christen und Juden gleichermaßen, seinen guten Ruf, seine saubere und unangreifbare Geschäftsführung, seinen Stil, seine elegante Sprache, sein charmantes Auftreten, seine Männlichkeit. Seine dem jüdischen Gesetz folgende Wohltätigkeit, Zedaka, kam Juden und Christen zugute.

Oppenheimer hatte früh verstanden, dass er seine Talente nur in jenen Städten, die Juden freizügig Rechte einräumten, entfalten konnte. In Heidelberg und Mannheim baute er sein Geschäftsreich auf, in Frankfurt wagte er es, entgegen allen Vorschriften, außerhalb des Ghettos zu residieren. Erdtmann würde ihn am ehesten als Reformjuden bezeichnen.

Der Glaube hat ihn nie verlassen, eine Taufe kam nicht infrage, wie Oppenheimer es über sich selbst in der dritten Person formulierte: »Er wollte Jud bleiben und kein Christ werden, auch wenn er römischer Kaiser werden könnte.« Die Speisegesetze befolgte er bis zum Schluss im elenden Kerker, wo seine Bewacher ihm unkoscheres Essen vorsetzten.

Oppenheimer trat in den Hungerstreik, war auf der schrecklichen Fahrt zum Stuttgarter Galgen mehr Gerippe als Mensch. Noch direkt an den Leiterstufen zum höchsten Galgen in deutschen Landen offerierten ihm Geistliche die Konversion zum Christentum, egal, ob zum Katholizismus oder zum Protestantismus. Es wäre für seine Peiniger ein Triumph gewesen. Doch Oppenheimers Seele ist ausgegangen unter der Ausrufung des jüdischen Glaubensbekenntnisses, des Schma Israel.

Im Zentrum des Buches steht der Justizmord. Erdtmann analysiert das damalige württembergische Rechtssystem, das diesen Namen nicht verdient. Das Urteil stand ohne Rücksicht auf die vielen entlastenden Schriftstücke schnell fest. Der Finanzrat des verstorbenen Herzogs Carl Alexander von Württemberg sollte hängen. Eine Verteidigung war unüblich, oft gar nicht zugelassen, Oppenheimers Verteidiger hatte keine Einsicht in die Akten. Das Geständnis musste erfolgen, wenn nicht, war Folter das Mittel der Wahl. Dunkler, feuchter Karzer, Hunger, Durst, das Fesseln der Arme an die Füße.

Oppenheimer widerstand. Die entlastenden Dokumente zur Fiskalpolitik des Herrschers und Oppenheimers Aufgaben, die er vorlegte, fanden kein Gehör. Es galt das Prinzip der Rache. Der Ankläger Dr. Jäger, ein ehrgeiziger pie­tistischer Kleingeist, wollte den Hebräer hängen sehen. Seine Geschäftskonkurrenten wollten den erfolgreichen Berater des Herzogs hängen sehen. Das Volk wollte den Juden hängen sehen.

In Zünften organisierte Schmiedegesellen durften den Käfig bauen, in dem der erdrosselte Leichnam sechs Jahre Wind, Wetter und Krähen ausgesetzt war. Der Mord an Joseph Süßkind Oppenheimer ist ein Zeugnis juristisch beglaubigter Schändlichkeit, Erdtmanns Porträt und Analyse ein großartiges Dokument dieser Unmenschlichkeit.

Raquel Erdtmann: »Joseph Süßkind Oppenheimer: Ein Justizmord«. Steidl Verlag, Göttingen 2024, 272 S., 24 €

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