»Nach einer wahren Geschichte«

Die Verwandlung

Verhängnisvolle Begegnung: Delphine (Emmanuelle Seigner, l.) und ihre Ghostwriterin (Eva Green) Foto: Carole Bethuel / Studiocanal GmbH

Ironischer könnte der Titel Nach einer wahren Geschichte kaum sein. Denn um Wahrheit und deren Wahrnehmung geht es in diesem Film – darum, was sein kann und was sein muss. Und in der Folge natürlich auch um die Wahrheit der Kunst, des Films.

Die Bestsellerautorin Delphine (Emmanuelle Seigner) trifft bei einer Signierstunde auf eine schöne junge Frau (Eva Green), die ihr selbst nicht unähnlich sieht und sich Elle nennt. Das französische weibliche Personalpronomen »elle« leitet sich hier von Elisabeth ab, ohne seine Allgemeingültigkeit zu verlieren.
Zuerst übernimmt die Ghostwriterin nur das Buchprojekt – und dann Delphines ganzes Leben.

Party Elle ist alleinstehend, arbeitet als Ghostwriterin und wird für Delphine dadurch in jeder Hinsicht zur Projektionsfläche. Als sich beide auf einer Party wiedertreffen, freunden sie sich an. Elle lädt Delphine zu ihrem Geburtstag ein – wo sie der einzige Gast am übervollen Buffet ist. Alle anderen hätten abgesagt, behauptet Elle.

Das Mysteriöse, das man bereits aus früheren Filmen von Roman Polanski wie Der Mieter, Rosemaries Baby, Ekel oder Der Ghostwriter kennt, stellt sich auch hier rasch ein, unterschwellig und atmosphärisch. Man weiß nicht genau, was wirklich passiert. Wahrheit und Wahrscheinlichkeit werden austauschbar.

So bleibt es bis zum Schluss. Im Verlauf des Films wird Delphine noch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und isoliert. Sie wird sich bei einem Sturz das Bein brechen, Elle wird in einem ebenerdigen Landhaus fernab von Paris für sie sorgen. Selbstlos übernimmt sie immer mehr Aufgaben für Delphine, beantwortet Mails und zieht sogar dauerhaft bei ihr ein. Elle wird sie auch bei einer Schulveranstaltung vertreten und ihr in Gestalt und Kleidung immer ähnlicher werden. Und schließlich wird sie ihre Geschichte erzählen.

Inspiration Für Delphine, deren sehr persönlicher Roman über ihre Mutter zu einem Weltbestseller wurde und die seitdem unter einer Schreibblockade sowie den endlosen Lesetouren, Signierstunden und vereinzelten Drohbriefen leidet, wird diese grotesk verzerrte Geschichte zur neuen Inspiration. Das Ergebnis kann dann kaum trivialer ausfallen. Traumatisierende Ereignisse und Selbstmorde pflasterten ihren Weg. Der Roman Nach einer wahren Geschichte wird aber trotzdem ein Erfolg. Die Frage bleibt nur, wer ihn tatsächlich geschrieben hat.

Der neue Film von Roman Polanski ist kein Thriller, dafür ist er zu langsam. Aber es gibt immer wieder Szenen, in denen das Grauen hervorbrechen könnte, doch immer obsiegt die Normalität. Selbst als Delphine mit Spuren von Gift im Körper in einem Graben gefunden wird, stellt ihre Umwelt die ganz normalen Fragen: Warum wollte sie sich umbringen? Auf Elle fällt kein Verdacht. Es ist aber ihre »wahre Geschichte«, die Gegenstand von Delphines Buch wie von Roman Polanskis Film Nach einer wahren Geschichte wird.

Prozess Der Text erhebt sich hier nicht nur metaphorisch über den Autor; die Figur erscheint, fordert ihre Künstlichkeit heraus und will geschrieben werden. Der Prozess der Verwandlung von Wirklichkeit, so wahr sie auch immer sein mag, in Kunst ist nicht nur unumkehrbar, er ist auch immer ein künstlerischer.

Was von einer wahren Geschichte übrig bleibt, kann also nicht an ihrem Wahrheitsgehalt gemessen werden, sondern nur daran, ob sie künstlerisch gelingt. Das zeigt Roman Polanski mit seinem grandiosen, klugen und im besten Sinne an Kafka erinnernden Film auf verschmitzte Weise und überlässt dabei viel dem Zuschauer. Allein Letzteres ist in einer Zeit, in der Filme fast nie ohne Subtexte daherkommen, schon eine Leistung.

»Nach einer wahren Geschichte«. Regie: Roman Polanski. Mit Emmanuelle Seigner, Eva Green und Vincent Perze. Ab 17. Mai im Kino

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025