Kinotipp: »Dibbuk«

Die Untoten sind los

Zugeschüttete Vergangenheit: Szene aus »Dibbuk« Foto: Cinema Obscure

Eine Hochzeitsfeier am Rande eines polnischen Dorfes. Es regnet in Strömen, ununterbrochen, die Landschaft ist grau, der Boden schon zu Schlamm geworden.

Von Beginn an wird in der polnisch-israelischen Koproduktion Dibbuk – Eine Hochzeit in Polen exzessiv getrunken, literweise Wodka, bis zum bitteren Ende am nächsten Morgen. Der Bräutigam Piotr kommt aus London und ist, vom Brautvater skeptisch beäugt, für einige in der Familie nur geduldeter Gast. Die Mitgift der Braut ist das vermoderte Anwesen des Großvaters. Aber noch bevor das Fest beginnt, wird klar, dass die ländliche Idylle porös ist. Piotr gräbt im Garten vor dem Haus intuitiv dort, wo er besser nicht hätte graben sollen – und fördert Menschenknochen zutage.

Vergangenheit Die Prämisse von Dibbuk, dem letzten Kinofilm des 2015 im Alter von 42 Jahren gestorbenen Regisseurs Marcin Wrona, ist nicht neu: Unter der Oberfläche gärt eine zugeschüttete Vergangenheit, die ihr Recht von den Lebenden einfordert. In der Familie wirkt ein dunkles Geheimnis fort, und der Filmtitel kündigt an, durch welche Kräfte es ans Licht gezerrt werden wird: Der Tote, dem zu Lebzeiten Schreckliches angetan wurde, kehrt als Totengeist, als Dibbuk, zurück und heftet sich an einen Lebenden.

In diesem Fall ist das der Bräutigam, der sich zunehmend eigenartig aufführt. Obwohl kein Jude, zertritt er während der Hochzeitszeremonie ein Glas. »Das wird so nicht gemacht«, kommentiert die Braut noch lachend, und ein anderer Gast ergänzt drohend: »Bei uns wird so etwas nicht gemacht!« Später wird es ernst. Piotr will vom Schwiegervater wissen, wie die Leiche in die Erde gekommen ist. Die Antwort ist deutlich: »Wir können hier jetzt nicht rumgraben, weil wir zu besoffen sind.« Doch der Dibbuk ergreift immer mehr Besitz von Piotr, der schließlich beginnt, in fremden Zungen zu sprechen. Nach einem epileptischen Anfall wird er von der Feier weggezerrt und eingesperrt.

Auch wenn Dibbuk bislang unter diesem Label gehandelt wird, ein Horrorfilm ist das Werk nicht. Er kommt fast ohne Schockmomente aus, ist von einer tiefen Melancholie bestimmt und immer wieder hochkomisch. Das Fest aber muss weiter nach Plan laufen, auch wenn der Bräutigam sich mehr und mehr wie besessen aufführt. Aus dieser Prämisse bezieht der Film seine ungeheuerliche Komik. In dieser Mischung entfaltet Marcin Wrona einen im Erzählkino nur selten so konsequent und vielschichtig ausgestalteten Blick auf die Verdrängungsleistung all jener, die von der Vernichtung der europäischen Juden nichts wissen wollen.

Mikwe Die monochromen, wie ausgewaschen wirkenden Bilder lassen spürbar werden, dass die Vergangenheit in der Welt des Films immer präsent ist. Und die Knochen, von denen hier keiner wissen darf, sind nicht die Ausnahme. Während einer Autofahrt im Morgengrauen zählt der jüdische Lehrer des Dorfes auf, was unwiederbringlich verloren ist: Hier stand einst die Synagoge, da die Mikwe des Dorfes, die Metzgerei der Schaffers, dort die Bäckerei der Dallachs ...

Das Grauen zieht sich in dem zentralen programmatischen Satz zusammen: »Hol die Kapelle her, sie sollen sein Geschrei überspielen!« Dibbuk inszeniert auf engem Raum den Kampf eines Kollektivs gegen die Erinnerung an die eigene Gewaltgeschichte und zeigt, welche Anstrengung, wie viel verkrampften Frohsinn und ausdauernden Lärm es braucht, um die Lebenslüge über Generationen hinweg aufrechtzuerhalten.

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025

Wien

ESC 2026: ORF will israelfeindliche Proteste nicht ausblenden

Die Debatte und der Boykott einzelner Länder wegen der Teilnahme Israels haben den ESC 2026 bisher überschattet. Auch beim Event im Mai selbst drohen Proteste. Wie geht der ORF damit um?

 16.12.2025

Washington D.C.

Trump sorgt mit Angriffen auf ermordeten Rob Reiner für Empörung

Der jüdische Regisseur sei an einem »Trump-Verblendungssyndrom« gestorben, schreibt der Präsident. Dafür erntet er seltene Kritik aus den eigenen Reihen

 16.12.2025

Nachruf

Filmproduzent mit Werten

Respektvoll, geduldig, präzise: eine Würdigung des sechsfachen Oscar-Preisträgers Arthur Cohn

von Pierre Rothschild  15.12.2025

Meinung

Xavier Naidoos antisemitische Aussagen? Haken dran!

Der Mannheimer Sänger füllt wieder Konzertsäle. Seine Verschwörungserzählungen über Juden und holocaustrelativierenden Thesen scheinen kaum noch jemanden zu stören

von Ralf Fischer  15.12.2025

Los Angeles

Bestürzung über Tod von Rob Reiner und Ehefrau Michele

Der jüdische Regisseur und seine Frau wurden tot in ihrem Haus aufgefunden. Die Polizei behandelt den Fall als mögliches Tötungsdelikt

 15.12.2025

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025