Geschichte

Die Strichliste

Als Pickelhauben-Schupo mit Hitlerschnäuzer, der sich, schwupps, zum persilweißen Verkehrspolizisten wandelt, bringt eingangs Heinz Erhardt die Ordnungshüterei des 20. Jahrhunderts auf den kabarettistischen Punkt. Das Verstörende dieser Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) offenbart sich eher im Kleingedruckten: zum Beispiel im achtseitigen Bericht des Paul Salitter.

Mit 15 Untergebenen bewachte der 43-jährige Hauptmann der Schutzpolizei vom 11. bis 17. Dezember 1941 einen »Evakuierungs«-Zug aus Düsseldorf. Sein Rapport erwähnt den korrekt verhinderten Suizidversuch eines Juden, der sich am Abfahrtsort vor die Tram wirft; und dass viele Bahnpannen, zur Vermeidung von »Fluchtversuchen«, behebbar wären. Nach der Ablieferung in Riga werden die Juden von Salitter nicht mehr genannt. Auf der Rückseite steht aber noch seine Strichliste, aufgeteilt nach Männern und Frauen, »Alter: 1–6; 6–14; 14–18; 18–50; über 50«.

wertespaltung »Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat« heißt die erste Ausstellung über dieses Thema. 300.000 Ordnungspolizisten gab es im »Dritten Reich«. Gezeigt werden Schikane, Verstrickung, Vertuschung, Verbrechen, Beihilfe, bis zur Massenexekution. Sinnliche Nähe wird durch anschauliche Objekte inszeniert: der vor 1933 eingeführte Gummiknüppel, die Kübelspritze der Feuerwehrpolizei, eine Knebelkette für Sinti und Roma. Prunkstück ist ein schwarzer Ford Eifel – die Gestapo-Limousine. An diesem Oldtimer-Traum zeigt sich auch ein methodischer Zwiespalt: Das Missbrauchstrauma der pervertierten Instanz »Vater Staat« vermittelt sich kaum über erotische Kotflügel.

Wie brave Kerle mit Ich-Schwäche »im Osten« zu Massenmördern werden, weil sie nicht als Weicheier gelten wollen, haben bedrückende Studien (von Christopher Browning und Harald Welzer) dargelegt. Die DHM-Schau gipfelt in diesem Horror-Kapitel. Ihr Spezifikum bleibt jedoch der Aspekt einer inneren Spaltung des Wertesystems. Wer begreifen will, warum Ordnung für die »68er« ein faschistischer Begriff wurde, kann sich hier über Sekundärtugenden informieren: etwa in jenen zehn »Grundsätzen für die Polizei«, in denen es um den Eid auf den Führer, Ehrlichkeit, Kleidung, Gehorsam geht.

Grundsatz 4: »Behandle jeden so, wie du selbst behandelt werden willst.« Nr. 6: »Hilf dem, der deiner Hilfe bedarf.« Er habe dem Vaterland unter Ebert, Hindenburg »und im Dritten Reich treu gedient«, begründet Paul Salitter 1947 seinen Antrag auf Wiedereinstellung. Seine Ablehnung ist die Ausnahme von der Regel. Von den 1.007 Juden seiner ordentlichen Liste haben 98 überlebt.

»Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat.« Noch bis 31.7., tgl. 10 bis 18 Uhr. Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin.

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025

Hommage

Pionier des Erinnerns

Der Filmemacher und Journalist Claude Lanzmann wäre diese Woche 100 Jahre alt geworden. Unser Autor ist ihm mehrmals persönlich begegnet

von Vincent von Wroblewsky  26.11.2025

Zahl der Woche

6500 Rabbiner

Funfacts & Wissenswertes

 26.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Coole Nichten, coole Tanten

von Katrin Richter  26.11.2025

Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Lahav Shani und Jason Stanley: Warum unser Autor nicht nur in der Westend-Synagoge vor Ort ist

von Eugen El  26.11.2025