Wuligers Woche

Die Mitleidlosen

Gedenken an Susanna auf dem Mainzer Gutenbergplatz Foto: Chris Hartung

Es gibt Momente, da wünsche ich mir meine Berufsgruppe zur Hölle. Nicht nur die Krawalljournalisten, die bar jeden Anstands einen Mord zwecks Steigerung der Auflage sensationalistisch ausschlachten. Von denen erwartet man es nicht anders. Aber schlimmer noch empfinde ich manche Kolleginnen und Kollegen von der Qualitätspresse. Die wühlen nicht in Schmutz und Blut, natürlich. Sie stellen lieber profunde Überlegungen an. Und dabei stehen sie, was Gefühlskälte angeht, den Witwenschüttlern vom Boulevard in nichts nach.

In Wiesbaden ist ein 14-jähriges jüdisches Mädchen ermordet worden. Den Horror, den Susanna F. erdulden musste, kann man nur erahnen, genauso wie den Schmerz ihrer Familie. Mitleid, mitleiden, ist die erste Reaktion, die sich da einstellt. Und Schweigen, weil es keine adäquaten Worte gibt. Man nennt das Pietät.

Doch die scheinen manche Medienmenschen offenbar nicht zu besitzen. Im Berliner »Tagesspiegel« erschien kurz nach Bekanntwerden des Falls ein Kommentar: »Der Mord an Susanna F. – Gift für die Gesellschaft«.

Flüchtlinge Die Autorin machte sich darin Gedanken nicht um das Schicksal der Ermordeten, sondern darüber, »was dieser Fall jenseits kriminalistischer Fragestellungen ist« und wie er »weit in die gesellschaftliche Realität ausstrahlt«. Ihr Fazit: »So wird es immer schwieriger, über Flüchtlinge überhaupt noch zu sprechen. Die Diskussion über ein zentrales gesellschaftliches Thema droht unter immer mehr Unaussprechlichem begraben zu werden.«

In anderen Worten: Das eigentliche Opfer ist der gesellschaftliche Diskurs. Dessen Wohl und Wehe scheint die Autorin mehr zu bewegen als der Tod des Mädchens.

Die Verfasserin des Kommentars wird möglicherweise nicht einmal verstehen, was der Skandal an ihren Äußerungen ist. Und sie wird bestimmt weit von sich weisen, auf eine Stufe mit den Leichenfledderern von ganz rechts gestellt zu werden, die feixend den Mord für ihre politische Agenda instrumentalisieren. Doch in ihrer abgestumpften Indolenz unterscheidet sie sich kaum von denen. Wer angesichts des Todes einer 14-Jährigen nicht innehalten kann, sondern reflexartig in einen gesellschaftskritischen Erklärmodus verfällt, hat, simpel ausgedrückt, kein Herz.

Staatsversagen Wäre der zitierte Kommentar ein Einzelfall, man könnte ihn als individuelle Fehlleistung abtun. Doch die Journalistin des »Tagesspiegel« ist nicht allein mit ihrer Einstellung. Sie steht pars pro toto für eine allgemeine Erbarmungslosigkeit. Die Medien, von den sozialen Netzwerken ganz zu schweigen, sind dieser Tage voll von Kommentaren über Flüchtlingskriminalität, Integrationsprobleme und Staatsversagen. Nur von Susanna F. ist kaum mehr die Rede. Das tote Mädchen interessiert, wenn überhaupt, nur noch am Rande, als Mittel zum Zweck für die Verbreitung politischer Meinungen. Es ist widerwärtig.

Ein 14-jähriges Mädchen ist ermordet worden. Mehr gibt es nicht zu sagen. Außer vielleicht noch: »Aleha Haschalom« – Sie ruhe in Frieden.

Los Angeles

Neues Album von Haim: »Manchmal muss man loslassen«

Auf ihrem vierten Album singen die Haim-Schwestern von Trennung, Abschied und Neuanfang. Dabei betritt das Trio mit beinahe jedem Song ein anderes musikalisches Terrain

von Philip Dethlefs  17.06.2025

Diskurs

»Die Erinnerungsrepublik Deutschland ist zu Ende«

Auszüge aus der Heidelberger Hochschulrede des Grünen-Politikers Sergey Lagodinsky

 16.06.2025

Literatur

Michel Bergmann ist tot

Der jüdische Schriftsteller starb im Alter vom 80 Jahren

 16.06.2025 Aktualisiert

Taormina Film Fest

Michael Douglas entschuldigt sich für Politik der US-Regierung

Der Darsteller erhält von Iris Knobloch eine Ehrung für sein Lebenswerk. Die Vergabezeremonie in Sizilien nutzt er für Kritik an seinem Land

 16.06.2025

Fernsehen

Luftraum in Israel gesperrt: »Fernsehgarten« ohne Kiewel

Die Moderatorin lebt in Tel Aviv - doch zu ihrer Jubiläumssendung konnte sie nicht anreisen

 15.06.2025

Leo Baeck Institut

»Die Wissenschaft ist keine Oase«

Michael Brenner über das vor 70 Jahren gegründete Archiv der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, freie Forschung und bedrohte Demokratie

von Ayala Goldmann  15.06.2025

Kunst

Öffnet die Herzen!

Die Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger fordert mit einer intensiven Einzelschau in Düsseldorf die Besucher heraus

von Eugen El  15.06.2025

Interview

Susan Sideropoulos über Styling-Shows und Schabbat

GZSZ-Star Susan Sideropoulos hat im ZDF die neue Makeover-Show »That’s My Style«. Nur wenige wissen jedoch, wie engagiert die Enkelin jüdischer NS-Opfer gesellschaftspolitisch ist

von Jan Freitag  13.06.2025

Aufgegabelt

Pastrami-Sandwich

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025