Sachbuch

Die erste Seifenoper

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Die erste Seifenoper

Der Komiker Stephen Fry unternimmt eine ebenso kurzweilige wie überraschende Spritztour durch die griechische Mythologie

von Maria Winkler  06.06.2021 15:36 Uhr

Die griechischen Mythen sind schon unzählige Male erzählt worden. Aber noch nie war eine Paraphrase so amüsant, pointiert und urkomisch. Stephen Fry, britischer Komiker, Schauspieler und Quizmaster, lässt in seinem Buch Mythos: Was uns die Götter heute sagen, das nun erstmals als Taschenbuch erscheint, die alten Geschichten wieder lebendig werden. Und wie! Er nimmt seine Leserschaft mit auf eine turbulente Expedition durch die Mythologie.

Fry beginnt ganz am Anfang, als alles ein einziges Chaos, ein »kosmisches Gähnen« war, aus welchem die Ordnung, das große Ganze, entstand. Der Rest war Dunkelheit – Nyx und Erebos, die Licht und Äther formten. Sie sind das Personal der ersten Gottheiten. Und als Gaia und Tartaros auf den Plan gerufen werden, kann die Reise beginnen. Nun sind auch Raum und Zeit erschaffen, aus denen sich Geschichten formen lassen. »Gaias Saat gab uns den Sinn. Das Denken keimte auf und fand seine Form.«

bildung Frys Bemerkung, man brauche keine akademische Bildung, um die griechischen Mythen zu genießen oder zu verstehen, ist etwas kokett: Denn natürlich wimmelt es in der Sagenwelt nur so von Göttern, Helden, Zyklopen, Nymphen und Giganten. Bei all dem Personal weiß man als Leser nicht immer so genau, ob diese oder jene Figur lediglich zur Illustration dient oder sich im Buch noch entfalten wird.

Der Autor spannt einen großen Bogen und erzählt die altbekannten Tragödien, Intrigen, Abenteuer von Hass und Liebe erfrischend neu. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf die Erzählungen von Hesiod (Geburt der Götter und die Erschaffung der ersten Menschengenerationen), Apuleius (Amor und Psyche) und Ovid (Arachne, Midas, Echo und Narziss). Fry erzählt chronologisch, und seinen berühmten Sprachwitz übersetzt Matthias Frings ganz vortrefflich.

Die Sagen des Altertums sind Spiegel unserer selbst, in ihnen wurden die Götter nach unserem Bild geschaffen, nicht umgekehrt.

Für manche Mythen nimmt sich der Autor mehr Zeit, einige schmückt er aus, und all das immer mit einem eindrucksvollen Gespür für Dramatik und Timing. Den Schauspieler merkt man ihm an, so szenisch und packend sind die Geschichten und Dialoge, gerade so, als stammten sie aus einem Drehbuch.

serienfiguren Durch die zuweilen saloppe Sprache glaubt man sich manchmal in einer Seifenoper. So vergleicht er das wohl erste tragische Liebespaar Pyramos und Thisbe mit dem Ehepaar J.R. und Sue Ellen aus der US-Serie Dallas. Unter vielen Dichtern nahm sich auch Shakespeare Pyramos und Thisbe zum Vorbild für das unglückliche Liebespaar Romeo und Julia. Der Vergleich mit Serienfiguren ist jedoch so keck wie treffend, erinnert uns Fry damit doch daran, dass Mythen in ihrem Ursprung symbolisch zu verstehen sind.

Die Sagen des Altertums sind Spiegel unserer selbst, in ihnen wurden die Götter nach unserem Bild geschaffen, nicht umgekehrt. Die Fußnoten, mit denen Fry seinen eigenen Text kommentiert, sind ebenfalls recht stilsicher. Sie sind keine trockenen Erklärungen wie aus einem Lexikon, sondern eher Assoziationen zu Etymologie der Worte oder die Schaffung von Querverbindungen zu dem reichlich auftretenden göttlichen Personal, immer mit einem Augenzwinkern.

Stephen Fry liebt nach eigener Aussage die archaischen Mythenwelten seit frühester Kindheit. Diese Liebe spürt man beim Lesen. In diesem Band, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, legt er uns diese ganze Götterwelt mit viel Humor, Ironie und auch Klamauk zu Füßen.

nachwort Und dass er hier und da noch ein wenig »herumgefummelt« hat, wie er im Nachwort schreibt, zeugt nur davon, dass er mit den Mythen so verfuhr, wie wir Menschen schon immer mit ihnen verfahren sind: sie nicht zu interpretieren oder zu erklären, sondern sie immer wieder neu zu erzählen und so am Leben zu erhalten. Die Antwort auf den deutschen Untertitel »Was uns die Götter heute sagen« könnte lauten: Wir sollen vergnügt sein und das Leben in all seinen Facetten genießen.

Mit Mythos gelingt Stephen Fry ein glänzendes witzig-intelligentes und vor allem lohnendes Amüsement. Und zum Glück ist bereits die deutsche Übersetzung der Fortsetzung (Troja) geplant, denn sicherlich ist dem geneigten Leser nicht entgangen, dass der vorliegende Band mit Midas endet und natürlich noch viele weitere Helden der griechischen Sagen auf ihren Auftritt warten. Den Göttern sei Dank!

Stephen Fry: »Mythos: Was uns die Götter heute sagen«. Aufbau, Berlin 2021, 448 S., 14 €

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