Fernsehen

»Deutschland, was ist nur mit dir passiert?«

Bildausschnitte aus dem Video eines antisemitischen Angriffs des syrischen Flüchtlings Knaan Al S. in Berlin vom 17. April 2018 Foto: Screenshot JA

Der Rapper Ben Salomo wurde in Israel geboren, aufgewachsen ist er in Berlin. Antisemitismus ist für ihn nichts Neues, den kennt er, seit er noch zur Grundschule ging. »Und ich habe heute den Eindruck, dass es noch mehr geworden ist«, sagt der 42-Jährige im Gespräch mit Michel Friedman. Die beiden haben sich getroffen, als der Frühling noch nicht in Sicht war: »Der Wind ist kalt, ist das ein bisschen der Zustand, wenn man Jude in Berlin ist?«, fragt Friedman.

Und Ben Salomo bestätigt das sofort: »Ich glaube, das ist eine gute Metapher.« Friedman ist Moderator beim Nachrichtensender WELT. Für die Reportagereihe Friedman schaut hin versucht er herauszufinden, wie es im Land des Holocaust um den Judenhass steht – 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik.

»Es gibt Phasen, in denen ziehen die Wölfe ihren Schafspelz aus, und in der befinden wir uns gerade«, heißt es in der Doku.

AUSCHWITZ »Judenhass ist keine deutsche Erfindung, aber Auschwitz ist eine deutsche Erfindung. Und deswegen ist die Diskussion über Judenhass in Deutschland immer eine andere als im Rest der Welt«, sagte Friedman vor Ausstrahlung seiner neuen Dokumentation. »Ich stamme aus einer Holocaust-Familie. Als ich jung war, war meine Hoffnung: Dass es in den jüngeren Generationen weniger Judenhass geben wird«, so der WELT-Moderator. »Ich stelle aber fest, dass er auch in der nächsten Generation weitergegeben wurde.«

Friedman (63) spricht dafür mit jungen Juden in Berlin, die erzählen, dass Freunde von ihnen sich nicht mehr trauen, offen eine Kippa zu tragen. Und er trifft sich mit Yorai Feinberg, einem jüdischen Restaurantbesitzer aus Berlin-Schöneberg, der von seiner Enttäuschung und Verzweiflung berichtet, angesichts von antisemitischen Anrufen, Vandalismus und Beschimpfungen. Die Judenhasser verstecken sich nicht mehr. »Es gibt Phasen, in denen die Wölfe ihren Schafspelz anbehalten«, sagt Friedman. »Und es gibt Phasen, in denen sie ihren Schafspelz ausziehen, und in der befinden wir uns gerade.«

Professor Samuel Salzborn vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin beklagt im Gespräch mit Friedman »ein dröhnend lautes Schweigen der Demokraten«. Antisemitismus werde hingenommen. Schließlich kommt Judenhass nicht aus dem Nichts, wie Friedman betont: »Wenn man sich fragt, warum ein 14-Jähriger in der Schule plötzlich ›Scheißjude‹ oder ›Kanake‹ ruft, dann muss man vielleicht den Film zurückdrehen und sich fragen, was haben die Eltern am Mittagstisch gesagt?«

»Wehret den Anfängen, ist es denn so anstrengend?«, rappt der Berliner Ben Salomo.

SCHWEIGEN Ulrich Matthes, Schauspieler aus Berlin, erzählt, wie er versucht, sich nicht damit abzufinden, sich um Zivilcourage bemüht, darum, nicht wegzusehen, nicht zu schweigen, wenn judenfeindliche Sprüche, Kommentare, Witze zu hören sind. Ignoranz der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft sieht auch Friedman als Gefahr: »Solange der Judenhass scheinbar ein Problem der Juden ist, habe ich ein doppeltes Problem«, sagt er: »den Judenhasser und die, die glauben, es sei ein Problem der Juden.«

»Wehret den Anfängen, ist es denn so anstrengend?«, rappt Ben Salomo in einem Musikvideo am Schluss der Reportage. »Deutschland, was ist nur mit dir passiert?«

Der Nachrichtensender WELT zeigt die Reportage »Antisemitismus in Deutschland« am Donnerstag, 25. April, um 17.15 Uhr. Anschließend bleibt sie 30 Tage lang in der Welt-Mediathek abrufbar.

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Wieder hat sich Regisseur Philipp Stölzl kräftig vom Bestseller-Autor Noah Gordon anregen lassen

von Peter Claus  19.12.2025

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025