Porträt der Woche

»Zu 100 Prozent mein Ding«

»Wenn man als Jude aufwächst, dann in dem Bewusstsein, dass Komödianten jüdisch sind«: Daniel Stern (41) lebt in Kreuzberg. Foto: Uwe Steinert

Porträt der Woche

»Zu 100 Prozent mein Ding«

Daniel Stern ist Stand-up-Comedian und entdeckte sein Talent in Berlin

von Helmut Kuhn  17.01.2022 16:41 Uhr

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Zurzeit schwinge ich auf der Bühne zu Beginn das Bein und singe: »Eine letzte Nacht vor dem Lockdown, eine letzte Nacht, bevor wir den Winter wieder drinnen hocken. Was ist aus dem süßen Leben geworden?«

Die Pandemie bedeutet große Einschnitte, auch für uns. Zugleich gewann im ersten Lockdown ein technisches Internet-Format rasant an Bedeutung, das lange Zeit schon wieder als »old school« galt: der Podcast. Plötzlich liefen die Netzdrähte heiß, aufseiten der Künstler wie des Publikums, weil wir merkten, dass wir Kultur brauchten. Podcasting schien wie gemacht dafür: Man kann die Inhalte hören, wann man will.

eltern Ich bin Podcaster, Comedian, Stand-up-Comedian. Und das wurde ich in Berlin. Ursprünglich komme ich aus Detroit in Michigan. Meine Eltern sind jüdisch, keine Seltenheit in meinem Land. Die Familie meines Vaters stammt aus Ungarn. Mein Großvater gelangte vor dem Ersten Weltkrieg in die USA, die Familie betrieb einen Donut-Shop.

Das ist schon einmal ein Thema für viele Juden in den USA: Wir haben wenig Wahrnehmung einer Vorkriegsgeschichte. Für die meisten von uns gibt es Moses, und dann kommen der Zweite Weltkrieg und die jüdische Gegenwart. Erst als ich eine Synagoge in Budapest besuchte, die allein schon Jahrhunderte alt war, wurde mir das klar.

Für viele jüngere US-Juden wie mich gibt es kaum eine Verbindung zur Zeit vor der Schoa.

Dann stand ich auf einem Friedhof und sah meinen Nachnamen auf vielen Gräbern: Stern. Das war ein merkwürdiges Gefühl. Ein großer Teil unserer zeitgenössischen Kultur ist jüdisch geprägt, von Pop über Literatur bis Comedy, aber für mich wie für viele jüngere Juden in den USA gibt es kaum eine Verbindung zur Zeit vor der Tragödie. Erst in Ungarn hatte ich das Gefühl eines reichen jüdischen Lebens davor.

LADEN Ich verließ Detroit, als ich zwei Jahre alt war, 1982. Mein Dad hatte in der Politik für Coleman Young gearbeitet, den ersten farbigen Bürgermeister der Stadt. Aber plötzlich wollte er Holzarbeiter in New England werden, im Westen des US-Bundesstaats Massachusetts. Wir zogen dort in die kleine Stadt Northampton, weil der Mann an der Tankstelle ihm auf seine Frage, ob das ein guter Ort sei, Kinder großzuziehen, antwortete: Das ist ein guter Ort, Kinder großzuziehen.

Meine Eltern eröffneten einen Laden für Kunsthandwerk, Töpferei und Klamotten. Northampton ist für einen Heranwachsenden eine tolle Stadt. 30.000 Einwohner, fünf Universitäten und das beste beider Welten: Musik, Shows, Restaurants, und ich konnte am Ende der Straße im Wald verschwinden. Ein bisschen wie der Bergmannkiez in Kreuzberg, wo wir heute wohnen, zumindest, was Musik und Restaurants betrifft.

In Amerika brachte ich es vom »Busboy«, der Tische deckt, bis zum General Manager.

Ich lebte in Santa Cruz in Kalifornien, studierte in Boston Philosophie und landete in der Gastronomie. Schlug eine amerikanische Bar- und Restaurant-Karriere ein, vom »Busboy«, der Tische deckt und Geschirr in die Spüle räumt, bis zum General Manager. In Boston lernte ich Melissa kennen, die dort studierte. Sie ist auch jüdisch. Ich folgte ihr nach Portland, Oregon, wo sie promovierte.

HIPSTER Die Grunge-Welle, die in Portland in den Neunzigern entstanden war, wurde in den Zweitausendern abgelöst von der Hipster Culture. Portland war wieder der Ort schlechthin: Sei verrückt, sei Künstler! Massig Platz, billige Buden, ein Riesenexperiment.

Zugleich ist Portland eine kleine Stadt, die Künstler mussten zusammenarbeiten, wenn sie etwas erreichen wollten. Ohne »die anderen« ging es nicht, das habe ich damals gelernt, und dieser Zusammenhalt war klasse. Ich stand noch nicht auf der Bühne. Aber egal, ob hinter der Bar oder als Kellner im französischen Restaurant: Ich lieferte immer eine Show ab.

2010 bekam Melissa das Angebot eines Labors in Berlin. Sie ist Wissenschaftlerin. In Amerika ist das heute illegal, sage ich auf der Bühne. Wieder folgte ich ihr, vielleicht bin ich einfach eine treue Seele.

KIEZ Wenn man einmal in Berlin ist, ist es zu spät. Die Stadt ist eine Oase der Wahnsinnigen und Künstler, trunken von purer Energie. Zugleich ist man geerdet im Kiez, es fühlt sich gar nicht an wie 3,5 Millionen Leute. Na ja. Ein Teil davon ist auch: Ich war oft allein. Melissa arbeitete, ich hörte Podcasts. Viele Comedians, die im Netz kursierten.

Ich weiß nicht, ob ich die englischsprachige Szene in Berlin wesentlich mitbegründet habe, die zu dieser Zeit immer größer wurde. Ich bin ein Teil von ihr geworden. Ich suchte einen Job im Restaurant, ohne große Begeisterung, und stolperte über einen kleinen Bären auf dem Gehweg. Ich hob ihn auf. Jemand hatte diesen Bären in Handarbeit gefertigt.

Irre, dachte ich. Konnte ich hier nicht auch machen, was ich wirklich wollte? Ich sah Shows, Freunde, die performten. Der Unterschied zwischen ihnen auf der Bühne und mir im Zuschauerraum war lediglich eine Entscheidung.

Das erste Mal stand ich im »Lagari« in der Show »Buzz Club« auf der Bühne.

Zuerst schrieb ich. Irgendetwas, wovon ich dachte, es wäre komisch. Dann kam die Bühne, die zweite Ebene. Man hofft, dass die Fähigkeit zu schreiben und das Talent, eine Performance abzuliefern, irgendwie zusammenfinden. Küche und Service.

PODCAST Das erste Mal stand ich im »Lagari« in der Show »Buzz Club« auf der Bühne, die Tim Whelan hostete. Aufgewachsen bei Liverpool, wohnt Tim inzwischen seit über zehn Jahren in Berlin, wo er als Stand-up Comedian und Opernchorsänger aktiv ist. Als Gründer des mittlerweile legendären »Buzz Club Open Mic« gehört er zur alten Schule der Berliner Stand-up-Szene. Und der Club? Gemischtes offenes Programm, Musiker, Dichter, Komiker.

In der ersten Reihe saßen drei berühmte Comedians: Carmen Chraim, Vincent Pfäfflin und Paul Salamone. Wir sind immer noch Freunde. Ich trat einmal, zweimal die Woche auf, dann hatte ich mein eigenes Programm, »Night Show Berlin«, gerammelt voll bis zur Decke, ein Ordnungsamt-Albtraum. Ich traf Joel Dullroy, einen australischen Deutsche-Welle-Journalisten, der mich zum Podcast »Radio Spaetkauf« brachte.

Das Format war schon vor Corona so bahnbrechend erfolgreich, weil es Berlin-Nachrichten, Geschichten und Interviews auf Englisch lieferte für die rasant wachsende Gemeinde der sogenannten Expats, der hier lebenden englisch Sprechenden. »Ich meine, ich lebe seit elf Jahren in Berlin und schaffe es selbst kaum durch einen deutschen Satz«, sage ich gern auf der Bühne.

Wir produzierten eine Mini-Serie darüber, wie man am besten einen Flughafen in den Sand setzt. Die Hörer liebten es.

ANSPRUCH In der Pandemie wurde der Podcast-Bereich immer größer. Die Leute schrieben uns: »Ihr habt uns durch den Lockdown gebracht.« Danach stand ich wieder auf der Bühne, das ist zu 100 Prozent mein Ding. Ich versuche, selbst Spaß zu haben. Man kann scheitern. Aber man lernt, das irgendwie zu vermeiden. Ich habe einen Service-Anspruch wie in der Gastronomie, den ich über meinen künstlerischen Anspruch stelle.

Vergangenen Oktober organisierte ich ein Podcast-Festival.

Ob es einen jüdischen Humor gibt, kann ich nicht sagen. Aber komisch ist schon: Wenn man als Jude aufwächst, dann im Bewusstsein, dass Komödianten jüdisch sind. Juden in Amerika waren auch Athleten, Boxer oder Gangster. Aber Woody Allen, Mel Brooks und Jerry Seinfeld kennt jeder. Komisch auch, dass ich mich jetzt in einer viel größeren jüdischen Gemeinschaft bewege, als ich es in den USA tat.

PERFORMER Wir teilen die Tatsache, dass wir Juden sind, und die Tatsache, dass wir als Comedians arbeiten. Aber was für ein Gewinn allein, britische Juden kennenzulernen? Ich fühle mich stärker eingebettet als je zuvor, und das ist auch Berlin. Ähnlich, wie wenn man den Bus durch Neukölln nimmt. »An hour on the M41 Bus« nenne ich eine Bühnen-Vorstellung, die gern darüber sinniert, ob nicht alle Fahrgäste in diesem Bus begnadete Performer sind.

Im Podcast aber bleibt jeder für sich isoliert. Das möchte ich ändern. Vergangenen Oktober organisierte ich ein Podcast-Festival. Ich wollte die Hörer, Produzenten und Performer wieder dort vereinen, wo alles entstand: auf der Bühne. Das Podfest Berlin fand in Neukölln im »Jazzclub Donau115« und im »Comedy Café Berlin« statt. Es kamen mehr als 500 Leute. »Radio Spaetkauf« war live dabei. Im März wird es wieder stattfinden.

Wir bekamen hier einen Sohn und erwarten gerade unser zweites Kind. Auch da ist uns in Berlin nicht bang. Hey, in unserer Kita haben die Erzieher für Kleinstkinder einen Master-Abschluss!

Aufgezeichnet von Helmut Kuhn

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