Sie gehörte zur Mitgift meiner Mutter. Die blaue Kommode, die eigentlich grün war. Mitgift, Aussteuer – alles verstaubte Wörter, die heute kaum mehr in Gebrauch sind. Sie erinnern an Gretchen, Emilia Galotti und Co. und lassen das Bild einer Frau entstehen, die in ein festes gesellschaftliches Korsett gezwängt wird.
Bei Mitgift steigt der Duft von sauber gewaschener weißer Wäsche in die Nase – Bettlaken, Tischdecken, Schürzen –, was beinahe wieder etwas moderig anmutet, weil sie zu lange im Schrank lag und nur selten oder gar nicht gebraucht wurde. Oder weil die Wäschetruhe aus altem Kampferholz ist. In Mitgift schwingt auch etwas Verpflichtendes, sie impliziert eine Erwartung an ein junges Paar, das frisch verheiratet ist und sich vom Begriff der Ehe überfordert fühlt.
In englischem Hellgrün und mit goldenen Griffen
Wer heute heiratet, lässt sich häufig Geld schenken, das Paar macht klar, was es braucht, oder wohnt schon zusammen. Man richtet sich gemeinsam ein, selbstverständlich anders, als man selbst aufgewachsen ist. Doch manchmal kommen die Dinge mit wie bei mir die Kommode. Sie gehörte in die Wohnung meiner Eltern und war in englischem Hellgrün gestrichen und mit goldenen Griffen versehen.
Ich machte mir nicht viel aus ihr, eigentlich gefiel sie mir nicht. Sie stand im Korridor unserer Wohnung und beherbergte Kleider. Bis zu dem Moment, als ich auszog. Da fragte ich meine Eltern aus mir heute unerklärlichen Gründen, ob ich die Kommode mitnehmen dürfe. Noch bevor ich in meine neue Bleibe zog, ließ ich sie neu streichen. In ein wunderschönes, kräftiges Blau. Auf einer Skala von hell- bis dunkelblau war sie irgendwo kurz vorm Dunkelblau. Mit verchromten Griffen. Ich war stolz, dass ich ein Möbel besaß, das niemand in dieser Farbe hatte.
Die Kommode begleitete mich von der einen in die nächste Wohnung.
Die Kommode begleitete mich von der einen in die nächste Wohnung. Zwei Jahrzehnte lang stand sie mir beiseite und diente als Aufbewahrungsort für alles Mögliche: Kleider, Uni-Unterlagen, Elektro-Krimskrams, Erinnerungen. Manchmal musste sie auch als Bücherregal herhalten. Sie hatte etwas Würdevolles insofern, als dass sie ein fester Anker meiner eigenen vier Wände und daher auch meines Lebens war.
Ablage verschiedener Lebensabschnitte
So diente sie als Ablage verschiedener Lebensabschnitte. Ein stiller, aber treuer Begleiter, mit seiner Farbe Intensität ausstrahlend und gleichzeitig für Freundlichkeit im Raum sorgend. Doch irgendwann verlor auch das schönste Blau seinen Glanz, blätterte mit jedem Mal mehr ab, wenn auch Erinnerungen verblassten oder etwas die Kommode unnötigerweise berührte.
Im vergangenen Sommer trennten wir uns voneinander, das Blau und ich. Nach exakt 20 Jahren war der Moment für eine neue Farbe gekommen. Mit mir ist auch die Kommode erwachsen geworden. Nun wieder hell, in einer Nuance von Flieder mit schwarzen Griffen – damit ist sie zum neuen Möbel meiner eigenen Familie geworden. Wer weiß, vielleicht nimmt sie irgendwann eine meiner Töchter mit, nicht als Mitgift, aber als eigenes Mobiliar für zukünftige Lebensabschnitte, und verpasst ihr wiederum einen zeitgemäßen Anstrich als Ausdruck von Erwachsenwerden. Oder auch nicht.