Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Eigentlich wollte ich diese Woche dem Eis am Stiel eine kleine Ode widmen. Der Anfang war bereits ausformuliert. Der Inhalt stand, zumindest in meinem Kopf. Es war naheliegend, denn ich war mit meiner Familie im Urlaub. Und wo, wenn nicht im Urlaub, sind Glida, Ice Cream oder Gelato in vielerlei Situationen überlebenswichtig. Ich lag also auf einem Liegestuhl an einem schönen Strand und ließ meine Gedanken nicht nur übers Meer, sondern auch übers Eis gleiten.

Als ich meinen Kopf für einen kurzen Moment nach links drehte, bemerkte ich eine Familie. Sie kam aus Großbritannien, der mir so vertraute wie von mir über alles geliebte britische Akzent war unüberhörbar.

Eine Mutter, ein Vater und zwei Mädchen. Das eine vielleicht acht oder zehn. Das andere vermutlich älter, aber unmöglich einzuschätzen. Es lag auf dem Liegestuhl, trug seine Sonnenbrille etwas schief und konnte sich nur mit der Hilfe der Mutter bewegen.

Es war sichtlich schwer, die Mutter benötigte viel Kraft, das Kind in die rechte Position zu rücken. Aber die Mutter führte diese Bewegung mit der größten Selbstverständlichkeit aus. Genauso wie sie der Tochter später mit einem Plastiklöffel ihren Brei zu essen gab, genauso wie sie sie wickelte. Etwas später gingen die beiden mithilfe einer speziellen Vorrichtung für Menschen, denen das Gehen am Strand Mühe bereitet, ins Meer. Zehn Minuten Sonnenbad, zehn Minuten Freiheit. Als die Mutter und die Tochter zurückkamen, lächelte die Mutter. Das Kind zeigte keine Rührung.

Es war kein Hauch von Schwere zu beobachten, kein Seufzer zu bemerken, keine Sekunde des Sich-Beklagens oder des Mitleids.

Das Familienleben ging weiter, die Jüngere der beiden baute Sandburgen, der Vater assistierte. Diese Familie faszinierte mich. Vor allem der Umstand, mit welch großer Hingabe sich die Mutter um das Mädchen kümmerte. Weshalb sollte sie es auch anders tun? Es war kein Hauch von Schwere zu beobachten, kein Seufzer zu bemerken, keine Sekunde des Sich-Beklagens oder des Mitleids.

Es war einfach normal. Das Kind mit der Einschränkung war in deren Zentrum, und gleichzeitig hatte jeder seinen Platz. Natürlich sieht man in solchen Situationen nicht in die Menschen hinein. Man kennt ihre Sorgen und ihren Kummer nicht. Aber an diesem heißen Tag am Strand war nur der Moment zu erleben. Die Hitze, der Sand, das Salz. Und die Würde dieser Familie, wie sie ein Kind, das unsere Gesellschaft so oft ausschließt, in ihrer Mitte trug.

Es war zutiefst berührend und bewundernswert zugleich. Meine eigenen Kinder riefen mich. Wir gingen ins Meer. Unser Familienurlaubsalltag war wieder mein Epizentrum. Und das Eis am Stiel. Worüber ich ein anderes Mal schreibe. Versprochen.

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025

Jubiläum

Weltliteratur aus dem Exil: Vor 125 Jahren wurde Anna Seghers geboren

Ihre Romane über den Nationalsozialismus machten Anna Seghers weltberühmt. In ihrer westdeutschen Heimat galt die Schriftstellerin aus Mainz jedoch lange Zeit fast als Unperson, denn nach 1945 hatte sie sich bewusst für den Osten entschieden

von Karsten Packeiser  18.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  18.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  18.11.2025

Literatur

John Irvings »Königin Esther«: Mythos oder Mensch?

Eigentlich wollte er keine langen Romane mehr schreiben. Jetzt kehrt er zurück mit einem Werk über jüdische Identität und Antisemitismus

von Taylan Gökalp  18.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  17.11.2025

Miss-Universe-Show

Miss Israel erhält Todesdrohungen nach angeblichem Seitenblick

Auch prominente Israelis sind immer öfter mit Judenhass konfrontiert. Diesmal trifft es Melanie Shiraz in Thailand

 17.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025