Finale

Der Rest der Welt

»Im günstigsten Fall erhört mich ein Familienmitglied.« Foto: Zong

Finale

Der Rest der Welt

Warum ich am Schabbat nicht mehr hinausgehen werde

von Beni Frenkel  30.01.2020 14:47 Uhr

Wir leben in einem Hochhaus im vierten Stock. Das Haus wurde vor einigen Monaten renoviert und sieht jetzt ziemlich schick aus. Nach der Sanierung kommt man gar nicht mehr so leicht rein. Zuerst steckt man den Schlüssel ins Loch, dreht ihn um 90 Grad und drückt links auf dem Bildschirm die Kombination ein: 8-0-3-8.

Kätzchen Dann schnurrt die Tür wie ein Kätzchen und geht automatisch auf. Es ist ein erhabenes Gefühl. Für eine kurze Zeit vergesse ich dann, dass ich in einem Hochhaus am Rande Zürichs lebe, wo es ein bisschen lauter und schmutziger ist als sonst im versnobten Zürich.

Wenn ich am Schabbat nach der Synagoge nach Hause laufe, stehe ich allerdings vor einem Problem. Ich darf am Schabbat nicht Auto fahren, keine Tiere jagen und keinen Bildschirm berühren.

»Warum dürfen Sie am Schabbat auf keinen Bildschirm drücken?«

Was mache ich also? Ich schreie: »Anne!«, »Kinder!«, »Hallo!« Im günstigsten Fall erhört mich ein Familienmitglied und öffnet mir die Tür von innen. In der Regel sind die Fenster im vierten Stock geschlossen, trotz gegenteiliger Abmachung.

Fremdgänger Ich schreie also lauter: »Anne!« Meistens laufen dann Leute an mir vorbei und gucken mich verstört an. Ich wirke wie ein Fremdgänger, der seiner Frau die Gründe erklären will: »Anne!« Im Film geht dann irgendwann ein Fenster im vierten Stock auf, und die Gattin wirft Kleider, Schuhe, Schmuck raus und brüllt: »Komm nie wieder zurück, du Arschloch!«

Aber so bin ich nicht. Ich will nur nach Hause und Kiddusch machen. Außerdem müsste ich dringend auf Toilette. »Anne!« Ein älterer Mann tritt an mich heran. »Haben Sie den Code vergessen?« Ich stelle mich doof, denn das darf man auch am Schabbat. »Code, welcher Code?« Der Mann führt mich zum Eingang. »Gucken Sie: 8-0-3-8, jetzt Sie!« Ich stelle mich noch doofer an: »Was, Code?« Der Mann zweifelt plötzlich: »Sie wohnen doch hier, Herr Frenkel?«

Wüste Ich erkläre ihm meine Gründe. Er guckt mich misstrauisch an. »Warum dürfen Sie am Schabbat auf keinen Bildschirm drücken?« Ich weiß es auch nicht. Es hat irgendetwas mit dem Stiftszelt in der Wüste vor 3000 Jahren zu tun. Aber wenn ich ihm das sage, bestellt er sicher die Ambulanz. Und Auto fahren darf ich auch nicht am Schabbat. Himmelherrgottnochmals!

In diesem Moment guckt meine kleine Tochter aus dem Fenster und erblickt ihren dämlichen Vater. »Papi!« Sie saust die Treppen runter und erlöst mich. Der Mann neben mir guckte uns noch lange nach. Nächsten Schabbat gehe ich nicht aus dem Haus.

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025