Finale

Der Rest der Welt

Koscherstempel hin oder her – alles nur eine Frage der Perspektive

von Naomi Bader  15.10.2018 13:37 Uhr

Keine Sorge wegen des Koscherstempels. Der ist gar nicht gewollt! Foto: Rafel Herlich

Koscherstempel hin oder her – alles nur eine Frage der Perspektive

von Naomi Bader  15.10.2018 13:37 Uhr

Kennen Sie den Witz von den zwei New Yorker Juden im Jahr 1940? Der eine liest die »New York Times«, der andere den »Stürmer«. Ersterer fragt den anderen, wieso er sich mit so einer Zeitung abgebe. »Was liest du schon in deiner Zeitung?«, fragt der mit dem »Stürmer« zurück. »Dass wir Juden von überall fliehen müssen und kein eigenes Land haben. Und was lese ich? Uns gehören die Banken, und wir kontrollieren die weltweiten Geschäfte!«

Aus dieser Perspektive betrachtet, ist die Existenz von »Juden in der AfD« gar nicht so verwunderlich: War der Holocaust nur ein »Vogelschiss« und sonst nichts weiter, sind wir auch gar kein traumatisiertes, neurotisches Volk! Und wenn Frau Steinbach in ihrer Rede zur Gründung der Gruppe verkündet: »Juden sind in aller Regel Patrioten«, dann heißt das für uns: Schluss mit gefühlter Heimatlosigkeit und Fluchtplänen – viel schöner zu hören, dass wir ohne geistige Verwirrungen deutsche Heimatliebende sind!

satire-coup Natürlich habe ich aber auch Verständnis für all jene, die diese Gruppe merkwürdig finden. Ich hatte ja selbst bis zum Schluss die Hoffnung, das sei ein Satire-Coup von Oliver Polak und anderen jüdischen Unterhaltungskünstlern. Zum Glück war die Angelegenheit bei aller Tragik trotzdem auch ein wenig komisch. Hier ein Ausschnitt aus meinen Top-Ten-Kuriositäten rund um die Gründung:

Erstens: die Empörung nichtjüdischer Deutscher. »Juden – in der AfD?« Mit Schnapp­atmung mussten viele feststellen, dass ihre philosemitischen Stereotype falsch sind: Nicht alle Juden sind klug, manche sind sogar sehr dumm. Hoffentlich bleibt es bei dieser Enthüllung, damit die Leute nicht kapieren, dass es weitaus mehr bekloppte Juden gibt – auch außerhalb der AfD.

Zweitens: Die Frage nach den Zahlen: Wie viele Juden sind es wirklich? Bei der Pressekonferenz schwebte ein Hauch von Ariernachweis in der Luft, als Journalisten fragten: Was bedeutet es, Jude zu sein? Genügt der Glaube? Eine ethnische Zugehörigkeit? Großartig fand ich diese Antwort eines JAfD-Mitglieds: Die Zugehörigkeit zum Judentum müsse »aus dem Gespräch mit dem Bewerber hervorgehen«. Der Vorstand entscheide dann über die Aufnahme. Das stelle ich mir besonders komisch vor: »Nein Dimitri, das war nun wirklich keine jüdische Nase.«

schächten Drittens: die Re­aktion auf die Frage, wie man dazu stehe, dass sich die hessische AfD gegen das Schächten ausspreche. Es gebe nicht unbedingt einen Zusammenhang zwischen Schächten und jüdischen Gemeinden, hieß es, gefolgt von einem kleinen, aber kruden Ausflug in die Geschichte: 1896 hätte die Schweiz per Volksabstimmung das Schächten verboten. »Die jüdischen Gemeinden zwischen 1933 und 1945 haben in der Schweiz überlebt, sie sind in Deutschland vernichtet worden«, war zu hören.

Nun, das ist eine ganz neue Sicht auf die Geschichte. Ich habe zwar auch schon immer geglaubt, dass koscheres Essen nicht gesund sein kann, aber so weit würde ich dann doch nicht gehen. Wenigstens müssen wir uns keine Sorgen machen, dass diese Leute der AfD einen Koscherstempel verschaffen – sie wollen nämlich gar keinen.

Dokumentation

Antisemitismus und »Palästinensismus« unter syrischen Geflüchteten

In Frankfurt am Main organisiert das Tikvah Institut eine Konferenz zur aktuellen Antisemitismusforschung. Günther Jikeli hat am Sonntag eine Studie zu Syrern in Deutschland vorgestellt

von Günther Jikeli  01.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Wie mir ein Münchener Lachs-Tatar gegen Flugangst half

von Katrin Richter  01.12.2024

Dokumentation

»Antisemitismus wiederholt sich nicht, Antisemitismus setzt sich fort«

In Frankfurt am Main organisiert das Tikvah Institut eine Konferenz zur aktuellen Antisemitismusforschung. Mitveranstalterin Julia Bernstein hielt am Sonntag die Eröffnungsrede

von Julia Bernstein  01.12.2024

Berlin

Herzl ist tot, es lebe Herzl!

Eine gut besuchte Tagung erkundete die Ursprünge des Zionismus und ihre Aktualität

von Mascha Malburg  01.12.2024

Zentralratspräsident

Josef Schuster: Negatives Israel-Bild in Medien stärkt Extremismus

Der Zentralratspräsident mahnt die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, sich mehr ihrer Verantwortung bei der Berichterstattung über den Gaza-Krieg bewusst zu werden

 30.11.2024

Frankfurt am Main

Tikvah Institut: Konferenz zu aktueller Antisemitismusforschung

Die Herbstakademie findet von Samstag bis Montag auf dem Campus der Frankfurt University of Applied Sciences statt

 29.11.2024

Israel

»Wir bluten, aber wir singen«

David Broza ist Israels Hoffnungsmaschine. Der 69-Jährige spielt seit dem 7. Oktober fast täglich vor ausverkauften Hallen, auf Armeebasen und in Flugzeugen. Ein Gespräch über die Kraft der Musik

von Sophie Albers Ben Chamo  29.11.2024

Frankfurt

Deutsches Exilarchiv 1933-1945 eröffnet erweiterte Ausstellung

Die Schau beleuchtet die Flucht von deutschen Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern vor den Nationalsozialisten

von Susanne Rochholz  28.11.2024

«Friendly Fire»

Oliver Polak und Micky Beisenherz beenden Podcast-Pause

Die beiden Entertainer reden schon seit Jahren in Podcasts über ihren Alltag. Vor elf Monaten beenden sie dann plötzlich ihr Format. Jetzt kehren sie zurück.

von Thomas Bremser  28.11.2024