Finale

Der Rest der Welt

Nicht bei jedem klappt es auf dem Spielfeld. Foto: Thinkstock

Gestern Abend brachte mich mein Vater zum Flughafen und konnte deshalb – mangels Fernseher – ein total wichtiges WM-Spiel nur im Radio mitverfolgen. Ich hatte bereits nach fünf Minuten Ohrensausen vom enthemmten Gekreische und Geröhre des Kommentators, das aus den Lautsprechern drang. Ich stellte ihn mir vor, mit irrem Fanatikerblick, hochrot, mit pummeligen Schweißhänden sein Mikrofon umklammernd ...

Mein Vater, der ja die halbe Welt kennt, meinte, das komme vom Typ her so ungefähr hin. Dieser Fußball-Fanatismus sei allein deshalb schon bemerkenswert, weil der Kerl bereits seit Jahrzehnten keinen Fußball mehr selbst getreten habe. Eine klassische Fußballniete also, konstatierte mein Vater mit einer gewissen Befriedigung.

speed Komisch, das erinnert mich irgendwie an meinen Sohn Robby. Klein und dürr, mit unterentwickelter Muskulatur, aber eisernem Willen, nervte er den Fußballtrainer so lange, bis der ihn schlussendlich ins Team aufnahm. Und so steht Robby seit Monaten bei der Mannschaftswahl immer noch als Letzter einsam auf dem Feld. Während des Spiels dribbelt der Rest des Teams dann vorsichtig um ihn herum, während mein Sohn planlos und hektisch wie ein Kaninchen auf Speed von einer Seite zur anderen rennt.

Dabei übt Robby pausenlos! Zu Hause liegen beinahe in jeder Ecke Fußbälle in allen Größen, Formen und Preisklassen, Robby kickt während der Hausaufgaben heimlich Bälle unterm Tisch, dribbelt essend oder zähneputzend durch die Wohnung, demoliert und zertrümmert im Wochenrhythmus diverses Mobiliar, Fensterscheiben und Autotüren.

saison Und als mein Sohn in der letzten Saison endlich seinen großen Moment auf dem Rasen hatte – er rannte sich frei, war im Ballbesitz, dribbelte kunstvoll um alle feindlichen Gegenspieler, war im Torraum nicht zu bremsen, feuerte den Ball ins Tor –, da springt sein gesamtes Team auf ihn und drückt ihn mit dem Gesicht in den Fußballrasen. Denn Robby hatte gerade ein Eins-a-Eigentor geschossen.

Trotz dieser schnöden Behandlung durch König Fußball bleibt Robby einer der fanatischsten Fans dieses Sports. Er isst, schläft und duscht (wenn man ihn nicht daran hindert) in seinem Trikot, er schleppt freiwillig Einkäufe vom Supermarkt an, weil er weiß, dass er mit seinem unschuldig flehenden Blick bergeweise Fußballbildchen von der Kassiererin einheimsen kann, und er kampiert schon Stunden vor Spielbeginn mit schwarz-rot-goldener Fußball-Kriegsbemalung vor dem Fernseher. In der einen Hand hält er ein Klemmbrett mit der Fußballtabelle, in der anderen sein Fußball-Album.

Während des Spiels tanzt er wie irre auf und ab. Und bei jedem Tor umarmt und küsst er den Fernseher inniglich und mit tiefer Inbrunst. Und so ist natürlich völlig klar, welchen Beruf Robby später einmal ergreifen wird – der Junge wird Fußball-Kommentator!

Kalender

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 11. Dezember bis zum 17. Dezember

 10.12.2025

Antisemitismus

Konzert-Comeback: Wie umgehen mit Xavier Naidoo?

Xavier Naidoo kehrt auf die großen Bühnen zurück. Ausverkaufte Hallen treffen auf Antisemitismus-Vorwürfe, anhängige Verfahren und eine umstrittene Entschuldigung - und auf die Frage, wie man heute dazu steht

von Stefanie Järkel, Jonas-Erik Schmidt  10.12.2025

Neuerscheinung

Albert Speer als Meister der Inszenierung

Wer war Albert Speer wirklich? Der französische Autor Jean-Noël Orengo entlarvt den gefeierten Architekten als Meister der Täuschung – und blickt hinter das Image vom »guten Nazi«

von Sibylle Peine  10.12.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  09.12.2025

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 09.12.2025

Sehen!

»Golden Girls«

Die visionäre Serie rückte schon in den jugendwahnhaftigen 80er-Jahren ältere, selbstbestimmt männerlos lebende Frauen in den Fokus

von Katharina Cichosch  09.12.2025

Film

Woody Allen glaubt nicht an sein Kino-Comeback

Woody Allen hält ein Leinwand-Comeback mit 90 für unwahrscheinlich. Nur ein wirklich passendes und interessantes Rollenangebot könnte ihn zurück vor die Kamera locken.

 09.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025

Eurovision Song Contest

»Ihr wollt nicht mehr, dass wir mit Euch singen?«

Dana International, die Siegerin von 1998, über den angekündigten Boykott mehrerer Länder wegen der Teilnahme Israels

 08.12.2025