Finale

Der Rest der Welt

»Mögen wir vom Kopf sein, und nicht vom Schwanz.« Foto: Thinkstock

Manche Bilder aus der Kindheit sind bei mir tief drinnen gespeichert. Vor allem religiöse Motive. Wenn ich an Pessach denke, kommen mir automatisch die Bilder aus meiner Kinder-Haggada in den Sinn. Ich sehe, wie ein Ägypter auf einen riesigen Frosch schlägt. Den scheint das überhaupt nicht zu schmerzen. Im Gegenteil: Er spuckt jede Menge quicklebendiger Frösche aus dem Mund.

Und beim Stichwort Rosch Haschana sehe ich sofort Gott mit Rauschebart vor mir. In seiner Hand hält er eine Waage. Auf der linken Schale liegen die guten Taten, rechts die bösen. Die Waage ist genau im Gleichgewicht. Ich höre meinen alten Religionslehrer: »Aufgepasst, Beni! Wenn du jetzt nur eine gute Tat vollbringst, wirst du ins gute Buch geschrieben. Wenn du aber sündigst, steht dein Name im schlechten Buch.«

mussaf-gebet Natürlich entwickle ich mich weiter. Ich bin immerhin schon 40 Jahre alt. Heute kommen mir auch andere Bilder in den Sinn. Zum Beispiel das endlos lange Mussaf-Gebet. Es ist das längste im ganzen Jahr. Etwa 20 Seiten lang. Man muss die ganze Zeit stehen. Früher machte mir das wenig aus. Heute juckt es mich bereits auf Seite vier, und das linke Bein fühlt sich auf Seite acht tot an.

Aber auch schöne Bilder steigen auf. Der festlich gedeckte Tisch mit der Honigschale und den geviertelten Äpfeln darauf. Früher waren wir am Abend immer eingeladen. Bei Familie Rosenstein. Herr und Frau Rosenstein hatten aber nicht nur Honig und Apfel auf dem Tisch. Auch Möhren, Bananen, Datteln, Feigen, Granatäpfel – und dann noch diesen Fisch.

Der guckte mich immer so traurig an. Herr Rosenstein stach mit der Gabel in dessen Kopf und schnitt mit dem Messer kleine Stücke ab. Dann schloss der ältere Mann die Augen und sprach: »Mögen wir vom Kopf sein, und nicht vom Schwanz.« Herr Rosenstein aß dann auch die Fischaugen mit.

schwanz Letztes Jahr ist er gestorben, der Herr Rosenstein. Das ist einerseits schade, andererseits aber auch befreiend für mich. Denn ich hasse Fischkopf. Ich möchte sowieso lieber beim Schwanz sein. Aber das habe ich mich nie getraut zu sagen.

Am Sonntag habe ich Frau Rosenstein besucht. Wir haben ihr einen wirklich schönen Strauß Blumen gepflückt. Dazu gab’s eine Schachtel Diabetes-Schokolade. Frau Rosenstein kämpfte mit den Tränen. Ich denke, das war eine gute Tat. Beim Abschied hat sie mir noch etwas in die Hand gedrückt. Zu Hause habe ich die Alufolie geöffnet: ein Fischkopf! Sch ..., habe ich geflucht. Oh nein, eine böse Tat. Wenigstens wieder Gleichgewicht auf der Waage.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert