Finale

Der Rest der Welt

Gut Jontef, hast du schon einen Samen gepflanzt?», hörte ich durch mein Handy, als ich, fünf Supermarkttüten balancierend, nach einem langen Arbeitstag vor meiner Haustüre stand. Am anderen Ende der Leitung war mein Großvater, daher ging ich selbstverständlich dran und nahm in Kauf, den gesamten Inhalt zweier Tüten auf der Haustreppe zu verlieren.

Meinen Hinweis, mich noch nicht vermehrt zu haben und dies auch ungern im Hausflur zu besprechen, konterte er mit: «Du Meshiggene, morgen ist Tu Bischwat. Du sollst einen Baum pflanzen, nicht dich fortpflanzen!» Die Jüdin in mir freute sich mit leicht schlechtem Gewissen über diesen Hinweis, die Mieterin in mir musste erstmal die matschige Avocado, ironischerweise Sorte «Hass» aus Israel, vom Boden kratzen. Zehn Minuten später und 15 israelische Fruchtideen reicher, stand ich in meinem gemütlichen Wohntempel und fragte mich, wieso Tu Bischwat einfach an mir vorbeizog.

Kindergarten Klar, es mag daran liegen, dass der Berliner Alltag keinen Raum für ein Neujahrsfest der Bäume hat. Ich meine, Pessach, Rosch Haschana, Jom Kippur und Kabbalat Schabbat in einen säkularen Kalender zu integrieren, bedeutet schon eine Herausforderung – aber innehalten und das Ende der Regenzeit zelebrieren?

Mit einem Lächeln im Gesicht erinnerte ich mich daran, wie ich im jüdischen Kindergarten als Sharonfrucht während einer Tu-Bischwat-Aufführung über die Bühne hüpfte und zum ersten Mal die zeitgemäße Relevanz verstand, die hinter diesem Fest steht. Einer der Gedanken von Tu Bischwat beruft sich auf das Verbot, Früchte von neu gepflanzten Bäumen zu essen, sondern stattdessen fünf Jahre auf gute Reife und guten Nährboden zu warten. Wer schon einmal von Frutariern gehört hat, Menschen, die nur Obst essen, das von selbst vom Baum gefallen ist, sieht plötzlich in der Mischna eine Art Zukunftsbarometer.

Vor mir lag eine Zeitung, Israel auf dem Titel. Bilder, die so gar nichts mit dem Land zu tun haben, das ich kenne und liebe. Daneben Artikel zu Pegida, Saudi-Arabien und ein Interview mit Heidi Klum – lauter Hiobsbotschaften also. Ich starrte auf meine Einkäufe, zurück auf die Zeitung, dann auf den Segen des Hauses, der neben meiner Eingangstüre hängt.

Schnee Nun hatte ich den Salat, beziehungsweise den Obstsalat, denn ich ließ mein geplantes Abendessen links liegen, ging resolut aus meiner Wohnung und stapfte durch den schneebedeckten Innenhof. Wenn das israelische Blühen der Natur nicht zu mir kommt, musste ich dieses wohl nach Hause bringen, zudem gibt es Juden, die an diesem Tag bis zu 50 verschiedene Arten von Früchten essen: Challenge accepted.

Mit Tüten voller Datteln, Wein, Oliven, Sharonfrüchten, Sabres und Pomelo lief ich durch das verschneite Berlin und dachte mir: «Ich habe zwar keinen Baum gepflanzt, aber heute wieder meine Wurzeln gespürt.»

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Fernsehen

Zieht Gil Ofarim ins Dschungelcamp? 

RTL kommentiert noch keine Namen - doch die Kandidaten-Gerüchte um Gil Ofarim und Simone Ballack sorgen schon jetzt für reichlich Gesprächsstoff

von Jonas-Erik Schmidt  27.11.2025

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025

Kino

Echte Zumutung

Ronan Day-Lewis drehte mit seinem Vater Daniel als Hauptfigur. Ein bemühtes Regiedebüt über Gewalt und Missbrauch

von Maria Ossowski  27.11.2025

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

Meinung

Ausmalen gegen die Realität

Kinderbücher sollten nicht dazu instrumentalisiert werden, Kinder niederschwellig zu prägen

von Zsolt Balkanyi-Guery  27.11.2025

Hans-Jürgen Papier

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  26.11.2025