Finale

Der Rest der Welt

Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich nach Antwerpen umziehe? Antwerpen, die Stadt der aufdringlichen Schwiegermütter, der zahllosen gestrengen Tanten und Cousinen aus den Rängen der Belszer Chassiden, der Stadt des gnadenlosen »Schejtel und Rock«-Diktats in der Schule meiner Kinder.

Mein Leben wird sich darum bald von Grund auf ändern: Wenn mich die Belser Cousinen auf der Straße in Hosen ertappen, dann Gnade mir Gott, und wenn ich in der Schule ohne Kopfbedeckung auftauche, werde ich gleich wieder vor die Tür gesetzt.

Antwerpen ist außerdem noch die Stadt der heimatlosen, in Scharen umherziehenden Jeschiwe-Bochers (die Sorte mit den feucht-flehenden Augen, die ewig hungrig aussieht). Diese gilt es mit warmen Mahlzeiten zu bewirten und mit Geldspenden zu versehen. Ehe man sich’s versieht, tauchen die Bochers dann jeden Schabbatmittag ungefragt zum Essen auf, und man wird sie nie wieder los.

schnitzel Warum tue ich mir das an, fragen Sie? Nun ja, Antwerpen ist auch die Stadt der gut gefüllten Fleischtöpfe. Sie erinnern sich: Die Israeliten murrten in der Wüste ob des eintönigen Menüs und verlangten nach dem abwechslungsreichen kulinarischen Angebot Ägyptens. Wobei die Antwerpener Fleischpalette noch um einiges erfreulicher ausfällt als die ägyptische. Allein in meiner Straße gibt es Herskovitz–Katz Delicatessen, Moskovitz’ feine Fleischerei und Hoffy’s Catering.

Ich habe vor, mich in den nächsten Monaten mit Schnitzel und Klöpsen und Aufschnitt vollzustopfen bis zum Anschlag. Dermaßen gestärkt werde ich alles andere auch irgendwie überleben: Ich drapiere einfach einen Wickelrock über meine Jeans, trage ständig ein Sortiment Baseballkappen zum Überstülpen in meiner Handtasche, und wenn ich irgendwelche Cousinen oder Tanten auf der Straße sichte, hechte ich schnell hinter das nächste Auto.

willkommen Die Frage ist nur noch, wie lange es dauern wird, bis ich dem Antwerpen-Syndrom erliege. Die Symptome: tiefgründige Verachtung für alle anderen Städte dieses Planeten, Naserümpfen und abschätzige Blicke im Dialog mit Brüssel-Bewohnern, überschwängliche Willkommensgesten gegenüber Neu-Antwerpenern. Tatsächlich, seit sich herumgesprochen hat, dass wir nach Antwerpen ziehen (und das ging schneller, als Sie »Umzugskarton« sagen können), sind auf einmal alle tierisch freundlich zu uns.

Der Mehlstaubschejtel in der heimischen Bakery, die mich früher keines Blickes gewürdigt hat, ist auf einmal vor Service-Wut nicht mehr zu bremsen und stopft meinen Kindern die Backentaschen mit Keksen voll. Dito in der Metzgerei, wo mein Nachwuchs mit Wursträdchen en masse wieder herauskommt. Um die nahe Zukunft muss ich mir also zumindest ernährungstechnisch keine großen Sorgen machen.

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  06.11.2025

Kunst

Maler und Mentor

Eine Ausstellung in Baden-Baden zeigt Max Liebermann auch als Förderer impressionistischer Kollegen

von Eugen El  06.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 06.11.2025

Film

»Vielleicht eines der letzten Zeitdokumente dieser Art«

Die beiden Regisseure von »Das Ungesagte« über ihre Doku mit NS-Opfern und ehemaligen Mitläufern, Kino als Gesprächsraum und die Medienkompetenz von Jugendlichen

von Katrin Richter  06.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Yitzhak Rabin

Erinnerung an einen Mord

Wie ich am 4. November 1995 im Café Moment in der Jerusalemer Azza Street vom tödlichen Anschlag auf Israels Ministerpräsident in Tel Aviv erfuhr

von Ayala Goldmann  04.11.2025

TV-Tipp

»Nürnberg 45 - Im Angesicht des Bösen«

Das Dokudrama rekonstruiert die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse vor 80 Jahren

von Jan Lehr  04.11.2025

Hollywood

Jesse Eisenberg will eine seiner Nieren spenden

Der Schauspieler hatte die Idee dazu bereits vor zehn Jahren

 03.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Herbstkaffee – und auf einmal ist alles so »ejn baʼaja«

von Nicole Dreyfus  02.11.2025