Thriller

Der melancholische Killer

»Die Arbeit eines Mossadagenten besteht aus stumpfsinniger Langeweile, gelegentlich unterbrochen von blankem Entsetzen«: Daniel Silva über seinen Protagonisten Gabriel Allon. Foto: cinetext

Auf den ersten Blick wirkt er einfach nur harmlos. Wie ein netter Kunstprofessor, der kein Wässerchen trüben kann. Aber genau so wie sein Held Gabriel Allon eine Doppelexistenz als Kunstrestaurator und Mossad-Killer führt, hat auch Daniel Silva eine zweite, knallharte Seite. »9/11 war gut für den Thriller«, sagt er. »Ich habe damals von meinem Haus in der Nähe von Washington D.C. die Rauchwolke über dem Pentagon gesehen.« Doch Daniel Silva ist kein Zyniker. Nach Eric Amblers bekanntem Statement, dass der Thriller die letzte Zuflucht für Moralisten sei, hat er sich das Genre ganz bewusst gewählt. »Ich konnte mir als Schriftsteller nie etwas anderes vorstellen, als Spionageromane zu schreiben. Als Kind des Kalten Krieges war ich immer an Militärgeschichte und Spionage interessiert.«

aufklärung Wer den arabisch-israelischen Konflikt wirklich verstehen will, kommt an Silva nicht vorbei. In seinen Thrillern erfährt man mehr und vieles intensiver als in den meisten Sachbüchern. Wieder einmal bestätigt sich die These vom Thriller als einer der letzten Bastionen der Aufklärung. Silva beschreibt die Paranoia eines Landes, das sich permanent im Kriegszustand befindet, und welcher Wahnsinn daraus resultieren kann. Er zeigt auch die Machtkämpfe innerhalb des Systems, lässt aber keinen Zweifel an der Existenzberechtigung Israels. Genauso wenig, wie er einem Palästinenserstaat die Existenzberechtigung abspricht.

Geboren wurde Daniel Silva 1960 in Michigan. Nach dem Studium wurde er Journalist, arbeitete unter anderem für UPI als Nahostkorrespondent aus Kairo. 2000 erschien sein erster Allon-Roman Der Auftraggeber, wie alle Thriller der Serie deutsch bei Piper erschienen und von Wulf Bergener hervorragend übersetzt. Gabriel »Gabe« Allon ist ein Killer des Mossad und gleichzeitig einer der weltweit besten Restauratoren für klassische Kunstwerke. Er hat deutsche Vorfahren; seine Großeltern stammten aus Berlin. Sie wurden in Auschwitz ermordet, nur seine Mutter überlebte. 1972 wird Allon als junger Kunststudent vom Dienst rekrutiert, um die Olympia-Attentäter zu verfolgen und zu töten. Nachdem er sechs Terroris-ten getötet hat, »war Gabriel an den Schläfen ergraut und sein Gesicht um zwanzig Jahre gealtert«.

tragik Die Tragik des israelisch-palästinensischen Dauerkonflikts schwingt in der Allon-Serie von Anfang an mit. Der Auftraggeber beginnt mit einer Tragödie. Allons Sohn und seine Frau werden von einer Bombe zerfetzt. Danach ist er nicht mehr derselbe. Er unterliegt Stimmungsschwankungen, neigt zur Melancholie und ist ein überzeugter Misanthrop. Als Agent ist der kunstsinnige Held gefangen in einer Parallelwelt der Verdammten. »Das vermeintlich glamouröse Leben eines israelischen Geheimagenten bestand in Wahrheit aus nahezu rastlosem Reisen und stumpfsinniger Langeweile, nur gelegentlich unterbrochen von kurzen Phasen blanken Entsetzens. Gabriel Allon hatte mehr solche Phasen erlebt als die meisten Agenten.«

Trotz seiner Fähigkeiten, die Allon ganz klar in die Tradition der Superspione à la James Bond einreihen, hat er viel von einem Antihelden. Es sind die tiefen Verletzungen des jüdischen Volkes, die ihn immer wieder mobilisierbar machen, um weiteres Leid von den Kindern Israels abzuwenden. Aber Allon ist weder Politiker noch debiler Propagandist und erkennt deshalb genau, dass auf arabischer Seite ähnlich tiefes Leid herrscht. In Der Auftraggeber agieren der israelische Protagonist und sein arabischer Antagonist aus fast identischer, nachfühlbarer Motivationslage. Beide haben ihre Familie durch die Gegenseite verloren. Und so herrscht Allon seinen Chef an, der ihn mit Rachemotivation zurück in den Dienst manipulieren will: »Haben Sie nichts dazugelernt? Wir haben dreizehn Mitglieder des Schwarzen Septembers liquidiert, aber das hat keinen unserer in München ermordeten Jungs wieder lebendig gemacht.«

Handwerk Daniel Silva ist ein effizienter Thriller-Autor, der gleichzeitig Spannung aufbaut, das Tempo steigert, seinen Figuren Leben einhaucht und zeitgeschichtliche Vorgänge analysiert. Souverän beherrscht er sein Material, spinnt geschickt Subplots, um alles im Finale explodieren zu lassen. Manchmal spielt er mit dem Wissensvorsprung des Lesers gegenüber Allon, wie es auch Hitchcock in seinen Filmen so gerne tat. Silva kennt jeden Trick seines Handwerks. Der Leser merkt die harte Arbeit nicht, die er in seine Bücher steckt. »Das Schreiben ist nach 13 Romanen nicht leichter geworden – eher im Gegenteil. Ich veröffentliche jedes Jahr ein Buch. Das bedeutet sechs Monate Recherche und sechs Monate schreiben. Ich sitze jeden Morgen um Punkt sechs an meinem Schreibtisch. Jeden Tag der Woche.«

Sieben Allon-Thriller hat Daniel Silva mittlerweile geschrieben. Dass sie so erfolgreich sein würden, damit hatte der Autor nicht gerechnet. »Ich hätte nie erwartet, dass das Publikum einen Mossad-Agenten als Serienhelden akzeptiert. Ich hatte ihn auch nicht als solchen geplant. Man musste mich dazu überreden. Gott sei Dank. Heute ist Gabriel eine echte Person. Er existiert für mich wirklich.« Inzwischen gönnt der Autor seinem Helden etwas Glück: Im siebten Roman lässt er Allon wieder heiraten.

Aus Daniel Silvas Gabriel-Allon-Serie ist auf Deutsch gerade erschienen: »Gotteskrieger«, Piper, München, 2010, 378 S.,
9,95 €

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024