Geburtstag

Der Maestro

Musikalische Harmonien, politische Dissonanzen: Daniel Barenboim Foto: imago

Der Mann ist nicht nur einer der besten Pianisten weltweit, sondern zählt auch zu den renommiertesten Dirigenten. Seine Diskografie ist ebenso ellenlang wie die Liste von Preisen, die ihm im Laufe seines Lebens verliehen worden sind. Als politisch überaus engagierter Mensch besitzt er neben seiner israelischen, spanischen und argentinischen Staatsbürgerschaft ehrenhalber auch noch die palästinensische. Und mit 70 Jahren ist der Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin ungebrochen vital. An diesem 15. November feiert Daniel Barenboim seinen Geburtstag – natürlich mit viel Musik.

wunderknabe Die Familie Barenboim (jiddisch für Birnbaum) floh 1904 aus Russland nach Argentinien, wo Daniel 1942 in Buenos Aires als Sohn von zwei Musikpädagogen geboren wurde. Mit zehn Jahren debütierte er 1952 als Pianosolist. Schon zwei Jahre später schwärmte der große Wilhelm Furtwängler von dem Wunderknaben: »Daniel Barenboim ist ein Phänomen.« Mit 14 Jahren spielte er seine ersten Schallplattenaufnahmen ein. 1967 debütierte Barenboim dann auch als Dirigent. Über Paris (1975–1989), London (1967) und Chicago (1991–2006) kam der Musiker 1991 schließlich nach Berlin, wo er heute mit seiner zweiten Ehefrau, der Pianistin Elena Baschkirowa, lebt, mit der er zwei Söhne hat. In erster Ehe war er mit der Cellistin Jacqueline du Pré verheiratet.

Die deutsche Hauptstadt hatte Barenboim schon zuvor regelmäßig besucht. 1989 führte er aus Anlass des Mauerfalls zwei Beethoven-Symphonien auf, 1996 ließ er dann auf der Riesenbaustelle am Potsdamer Platz Baukräne nach seinem Taktstock tanzen.

wagner Medienwirksam waren auch Barenboims Auftritte in Bayreuth in den 80er-Jahren, wo er Tristan und Isolde und später den Ring des Nibelungen aufführte. Dass Richard Wagner ein Antisemit war, weiß er natürlich, doch unterscheidet er stets den »Hassprediger« vom Musiker: »Um es in aller Schärfe zu sagen, die Person Wagner ist absolut entsetzlich, ja verachtenswert und irgendwie schwer zu vereinbaren mit der Musik, die er geschrieben hat. Der Klarheit halber muss man auch sagen, dass sich in den Opern selbst keine einzige jüdische Figur findet. Hier fällt nicht eine einzige antisemitische Bemerkung«, schreibt Barenboim in seinem 2004 erschienenen Buch Parallelen und Paradoxien – Über Musik und Gesellschaft.

Auf dieselbe Differenziertheit gegenüber Wagner hatte Barenboim 2001 in Israel gesetzt, als er bei einem Gastspiel der Staatskapelle Berlin als Zugabe den Orchesterauszug aus Tristan und Isolde gab. Ein Eklat folgte. Der Versuch einiger Knessetabgeordneter, den Dirigenten deshalb in Israel zur Persona non grata zu erklären, scheiterte jedoch. Im selben Jahr wurde Daniel Barenboim in seinem Heimatland der Wolf-Preis verliehen.

Er bedankte sich mit einer vollen Breitseite gegen die israelische Politik. Die jüdischen Siedlungen im Westjordanland nannte er ein »Krebsgeschwür«: »In tiefer Sorge frage ich heute, ob die Besetzung und Kontrolle eines anderen Volkes mit Israels Unabhängigkeitserklärung in Einklang gebracht werden kann. Wie steht es um die Unabhängigkeit eines Volkes, wenn der Preis dafür ein Schlag gegen die fundamentalen Rechte eines anderen Volkes ist?« Das Preisgeld von 50.000 Dollar stiftete Barenboim für ein Projekt, das gemeinsamen Musikunterricht von israelischen und palästinensischen Kindern fördert.

engagement Barenboims Engagement für die palästinensische Sache hat nicht Publicity-Gründe, sondern beruht auf innerer Überzeugung. 2008 schrieb er in der New York Times: »Ich bin sozusagen der lebende Beweis für die Tatsache, dass nur eine pragmatische Zweistaatenlösung (oder besser, so absurd das klingen mag, eine Föderation der drei Staaten Israel, Palästina und Jordanien) Frieden in diese Region bringen kann.« Hartnäckig und unbeirrbar setzt er sich seit Jahrzehnten mit seinen musikalischen Mitteln für Aussöhnung ein.

Mit dem 2003 verstorbenen amerikanisch-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said verband ihn eine langjährige Freunschaft, die auf dem gemeinsamen Glauben an die friedensstiftende Wirkung von Kunst fußte. 1999 gründeten die beiden das »West-Eastern Divan Orchestra«, das sich aus Musikern aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten, Ägypten, Syrien und Jordanien zusammensetzt. Im August 2005 spielte das Orchester in Ramallah – für die meisten Israelis so etwas wie der Vorhof der Hölle. Auch im von der Hamas beherrschten Gazastreifen ist Barenboim vergangenes Jahr aufgetreten, gemeinsam mit seinem Sohn Michael.

Barenboims Arbeit mit dem West-Eastern Divan Orchestra ist beseelt von dem Gedanken, dass Musik eine Brücke zwischen verfeindeten Völkern bauen kann. Shirley Brill, eine junge israelische Klarinettistin des Orchesters, hat es auf den Punkt gebracht: »Normalerweise hatte ich gar keine Möglichkeit, Araber zu treffen und mit ihnen über die politische Situation zu sprechen. Es ist Barenboim wichtig, dass wir lernen, dass es keine militärische Lösung gibt.«

auszeichnungen Barenboims politisches Engagement hat ihm neben musikalischen Ehren (sämtliche bedeutenden Musikpreise hat er schon abgeräumt) viel Anerkennung vor allem in Deutschland gebracht, wo man sich schon mal gerne nahostpolitisch positioniert. So kommen neben Auszeichnungen für über jeden Zweifel erhabene Projekte wie die Young Academy Rostock zur Förderung musikalisch hochbegabter Kinder oder die Gründung eines Musikkindergartens in Berlin vermehrt Würdigungen für seine »friedensstiftende« Arbeit hinzu.

Diese Häufung von Preisen für »Toleranz«, »Menschenrechte« oder »Humanität« stimmt ein wenig skeptisch. Sucht sich da vielleicht eine anti-israelische Position ein Ventil? Nach dem Motto: Sogar ein so prominenter Jude wie Barenboim kritisiert die Politik des Judenstaates. Der eine oder andere Juror wird Barenboim den Bruno-Kreisky-Preis oder den Internationalen Willy-Brandt-Preis deshalb vielleicht noch freudiger zugesprochen haben als ohnehin.

Doch welche hehren oder niederen Beweggründe auch immer unter den Preisstiftern bestehen – das letzte Wort soll der Jubilar haben: »Meine Erfahrung – auch im West-Östlichen Diwan Orchester – ist, dass gerade die junge Bevölkerung sowohl in Israel als auch in Palästina zunehmend nach Offenheit und Menschlichkeit strebt und die endlosen Verhandlungen und den politischen Stillstand satt hat.« Masel Tov und bis 120, Maestro!

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