Roy Amotz stellt sich in Positur, legt die Lippen an das Mundstück seiner Querflöte und beginnt zu spielen: Johann Sebastian Bachs Präludium aus der Cellosuite 1 (BWV 1007). Was mit Leichtigkeit erklingt, erfordert Virtuosität. Dabei wirkt die Barockflöte fast wie eine natürliche Erweiterung des Musikers. Leichtfüßig schwingt der 42-Jährige mit den Tönen mit. Er trägt »Konzert-Barfußschuhe«, wie er später lachend erzählen wird.
Einstweilen haben sich – auf improvisierten Stuhlreihen – rund 50 Besucher in der Wohnung eines befreundeten Künstlerpaares eingefunden. To Invoke The Clouds heißt Amotzʼ neues Album, auf Deutsch: »Die Wolken beschwören«. Im Laufe des Abends präsentiert der versierte Musiker und Soloflötist bei der Geneva Camerata sieben von insgesamt zwölf Stücken seines neuen Albums. Darauf finden sich unter anderen Werke von zeitgenössischen japanischen Komponisten wie Toru Takemitsu sowie des Italieners Giacinto Scelsi und des Franzosen Tristan Murail. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit bilden sie in ihrer Gesamtheit eine Harmonie.
»Ein Konzert für das Wasser am Wasser«
Zwischendurch gibt Amotz, der aus Jerusalem stammt, Einblicke in sein Schaffen. »Ich bin gern in der Natur, ich fühle mich mit ihr verbunden, die Inspiration kommt mit der Stille«, sagt er. Erst kürzlich habe er in Israel bei Sonnenaufgang an einem Fluss gespielt, bei einem Konzert-Flötenlauf. »Das Publikum, rund 30 Leute, ist mit mir mitgegangen, während ich gespielt habe. Ein Konzert für das Wasser am Wasser.«
Neben Stücken von Bach interpretiert er auch zeitgenössische Kompositionen wie John Thows To Invoke The Clouds von 1995, was ihn zum Titel des Albums angeregt habe. »Ich habe es nach dem Lied genannt, das durch eine Hopi-Familie in Arizona inspiriert wurde.« Ein Regentanz, ursprünglich aufgenommen im Jahr 1905. Die Aufnahme war Grundlage für die Komposition des US-Amerikaners.
Aus dieser Grundlage habe sich nach und nach das gesamte Album entwickelt. »Herausgekommen ist eine Mischung aus Träumen, getragen durch den unbedingten Wunsch nach Frieden«, sagt der Israeli, der seit rund zwölf Jahren in Deutschland lebt.
»Fast drei Jahre habe ich nach einer Räumlichkeit gesucht, wo die Flöte und der Raum miteinander in einen Dialog treten können, dem dieses Repertoire entspricht«, begründet der Musiker die umständliche Suche nach einem passenden Ort für die Aufnahme seines Albums. In der Berliner Nikodemus-Kulturkirche habe schließlich alles gepasst. Ein spiritueller Ort mit der perfekten Akustik für diese Art von Musik. »Nicht zu trocken, nicht zu hallig.«
Für die Hörer sei es nämlich eine Herausforderung, nur die Flöte zu hören und kein anderes Instrument. Vier Flöten insgesamt, um genau zu sein. »Die Barockflöte, eine moderne Goldflöte, eine Holzflöte und eine Alt-Flöte«, zählt der Musiker auf. »Dabei spiele ich ausschließlich Querflöten.« Die Konversation zwischen Flöte und Raum versuche, Illusionen der Trennung aufzulösen. »Bachs transzendentale Dimensionen spielen ja auch mit dem Licht und dem Schatten«, sagt Amotz.
Es fordert heraus, nur die Flöte zu hören – ohne ein anderes Instrument.
»Die Idee meines Albums, je nachdem, für wen es gespielt wird, ist mit dem Wunsch verbunden, dass sich die Erfahrung je nach Anlass, Räumlichkeit und Publikum neu (er)findet.« Dabei müssten die Besucher nicht unbedingt in einem Konzertsaal sitzen. In Kürze will der Flötist in einem Berliner Park spielen, mitunter verlegt er seine Proben auch gern in den Warteraum eines Flughafens.
Seit 20 Jahren lebt Roy Amotz, der in Jerusalem, Freiburg und Stuttgart studierte, einen Master-Abschluss in Flöte hat und anschließend noch ein Aufbaustudium für Barockflötenmusik an der Universität der Künste in Berlin absolvierte, von seiner Musik. Sein musikalisches Talent wurde im Alter von sieben Jahren entdeckt. Damals habe ihm sein Vater ein kleines Keyboard geschenkt: »Seitdem habe ich nie wieder aufgehört, Musik zu machen.« Außer Flöte spielt er noch Klavier.
Internationale Karriere
Amotz tritt seit Jahren international auf, mit Orchestern wie dem BBC Scottish Symphony und dem Jerusalem Symphony Orchestra – auch als Solo-Musiker. Er konzertierte unter Dirigenten wie Daniel Barenboim, James Levine und Zubin Mehta.
Ihm sei es wichtig, auch andere Kunstformen in seine Arbeit einzubeziehen«, betont er. Für sein neues Album hat er den Israeli Bnaya Halperin-Kaddari mit der Komposition von »Ivsha« betraut, einem Stück mit elektronisch erzeugten Klängen unter anderem von Weddellrobben. Außerdem kooperierte er mit einem Animateur, der die visuelle Seite des Albums betreute. »Er hat ein Video konzipiert, dafür haben wir mit einer Tänzerin zusammengearbeitet. Ich habe gespielt, sie hat dazu getanzt. Shahar Sarig, ein Animationskünstler aus Israel, hat daraus schließlich ein digitales Gesamtkunstwerk gemacht«, erklärt Amotz, bevor er das Licht ausschaltet.
Auf der Leinwand hinter ihm erscheint eine ungewöhnliche Videoinstallation – ein Zeichentrickfilm, zu dem Amotz nun live spielt. »Wie ein sich zur Musik bewegendes Video-Gemälde«, flüstert eine Zuschauerin. Es gebe viele Arten, für den Frieden zu demonstrieren, sagt Roy Amotz. To Invoke The Clouds sei für ihn eine davon. »Wie könnten wir den Frieden heraufbeschwören?« Vielleicht, so hofft der Musiker, kann sein Album einen kleinen Anstoß liefern.
Roy Amotz (Flöte) & Bnaya Halperin-Kaddari (Programmierung): »To Invoke The Clouds«, LP, CD & Digital Label, Hortus, Frankreich 2025, 19 €