Sexualforschung

Den G-Punkt gibt es nicht

»Es ist schlimm, wenn das Liebesleben in der Beziehung zur Routine wird«: Dr. Ruth Foto: dpa

Sexualforschung

Den G-Punkt gibt es nicht

Ruth Westheimer vermittelt theoretisches Wissen und gibt praktische Tipps – ein Vortrag in Jaffo

von Marina Choikhet  16.07.2013 09:36 Uhr

Wenn ihr heute Abend nach meinem Vortrag nach Hause kommt, möchte ich, dass jeder Einzelne von euch, der verheiratet oder in einer festen Beziehung ist, eine neue Stellung ausprobiert.» So beginnt Dr. Ruth ihren Vortrag im Nalaagat-Theater in Jaffo und bringt die 400 Gäste des Tel Aviv International Salon gleich zum Erröten. «Und ja, ihr könnt mir gern danach erzählen, wie es gewesen ist, aber schickt mir bitte keine Fotos, das hab’ ich nicht so gern.»

Mit ihren 85 Jahren und gerade einmal 143 Zentimetern ist Ruth Westheimer – Sex-Expertin, Schoa-Überlebende, Hagana-Scharfschützin, Sorbonne-Psychologin und New Yorker Kulturikone der 80er-Jahre – immer noch die Größte: Stets auf dem neuesten Stand der Forschung, nimmt sie Stellung zum Thema Sex, schreibt aufklärerische Bücher und hält Vorträge auf der ganzen Welt. 2009 wurde die gebürtige Deutsche sogar vom Playboy-Magazin zur Nummer 13 der «Most Important People in Sex» gekürt.

Mizwa «Warum sich jemand wie ich so frei und öffentlich über Sex äußern kann? Weil ich sehr jüdisch bin. Für uns ist Sex nie eine Sünde gewesen, sondern eine Mizwa», erklärt Dr. Ruth. Tatsächlich ist das orthodoxe Judentum der Auffassung, dass verheiratete Paare am Schabbat dieses positive Gebot möglichst erfüllen sollten. «Dass es beim Sex im Judentum nicht nur um Vermehrung geht, sondern auch um Spaß und Liebe, zeigt sich auch darin», so die Soziologin und Sexualtherapeutin, «dass die Tora den Männern vorschreibt, ihre Frauen auch nach der Menopause, wenn sie also nicht mehr schwanger werden können, zu befriedigen.»

Die selbstbewusste Lady erteilt an diesem Abend nicht nur Ratschläge gegen Erektionsstörungen, sondern erzählt auch ein paar Anekdoten aus ihrem eigenen Leben: «Als mein Ehemann zu Lebzeiten in Diane Sawyers Fernsehshow von ihr nach seinem Liebesleben gefragt wurde, brachte er alle Zuschauer zum Lachen, indem er sagte: ›Die Kinder des Schusters haben keine Schuhe‹.»

Dr. Ruth ist bereits seit 15 Jahren verwitwet, aber redet stets mit einem Lächeln über Fred Westheimer: «Ich habe meinen Mann sehr geliebt, aber wollte ihn nie bei meinen Präsentationen dabei haben. Er hat sich gern in der ersten Reihe breitgemacht und sich bei der Fragerunde sofort zu Wort gemeldet, um allen zu sagen: ›Ach, hört doch nicht auf sie. Sie ist ’ne große Schwätzerin.‹»

Orgasmus Als es auch bei diesem Vortrag soweit ist, dass das Publikum Fragen stellen kann, sagt Westheimer: «Traut euch ruhig! Bei mir müsst ihr nie ›Ich habe ein Problem‹ sagen. Sagt einfach ›Ein Freund von mir ...‹». So löst Dr. Ruth, die auch Dozentin an der Yale University ist, gleich bei der ersten Frage den Mythos multipler Orgasmen auf und stellt die Existenz des G-Punkts komplett in Frage: «Ich sage nicht, dass es ihn nicht gibt, aber ich arbeite nur mit empirischen Daten, und zum G-Punkt gibt es bisher keine.»

Auch bekommt das Publikum jede Menge Tipps gegen langweiligen Sex: «Es ist schlimm, wenn das Liebesleben in der Beziehung zur Routine wird. Man kann dann doch immer noch seine Fantasie voll ausleben. Sex findet schließlich nicht nur zwischen der Hüfte und den Knien statt, sondern auch zwischen den Ohren. Ihr Frauen zum Beispiel könntet in eurer Vorstellung mit einem ganzen Fußballteam schlafen, ihr müsst es ja nicht gleich jedem erzählen.»

Außerdem gibt es für die weiblichen Zuhörer gleich ein paar Anweisungen zu Kontraktionsübungen mit dem Appell an die Anwesenden: «Na los, ihr könnt es gleich hier ausprobieren.»

Dabei betont Dr. Ruth immer wieder, dass ihre Ratschläge nur in Ehen und festen Beziehungen Anwendung finden sollten: «Ich gebe euch Sexratschläge, weil ihr sie gerne hören wollt, aber denkt bitte daran, dass es vor allem um Liebe, Beziehungen und gegenseitige Unterstützung geht. Das alles führt schließlich zu gutem Sex.»

Auf die Frage nach ihren Wünschen und Zukunftszielen antwortet sie grinsend: «Ich wünsche mir einen Partner, einen Witwer wie mich, der die ganze Nacht mit mir durchtanzen kann.»

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025

Erinnerungspolitik

Weimer: Gedenkstätten sind zentrale Pfeiler der Demokratie

Das Bundeskabinett hat ein neues Konzept für Orte der Erinnerung an die NS-Verbrechen und die SED-Diktatur beschlossen. Die Hintergründe

von Verena Schmitt-Roschmann  12.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025