Günther Jauch gehört zu den Unvermeidlichen des deutschen Fernsehens, weshalb er natürlich auch hier wieder auftaucht im Intro des höchst gelungenen Dokudramas »Robert Lembke - Wer bin ich«. Das ist ziemlich verzichtbar, denn der 1989 verstorbene Lembke braucht keine andere TV-Ikone, um für heutige Generationen anschlussfähig zu sein.
Lembkes Frage »Welches Schweinderl hätten’s denn gern?« bleibt genauso Kult wie sein lange vor dem allgemeinen Duzen bei »Was bin ich« üblicher Aufruf des Rateteams beim Vornamen. Zumeist waren das Marianne (Koch), Hans (Sachs), Annette (von Aretin) und Guido (Baumann).
Jüdische Wurzeln
Dass »Ratefuchs« Baumann aus der neutralen Schweiz kam, gehörte zum Charme der Sendung. Was zur über 30-jährigen Laufzeit von »Was bin ich« in der ARD niemand wusste: Zwei weitere Mitglieder des Haupt-Rateteams hatten ein jüdisches Elternteil, und auch Annette von Aretin, die vierte im Bunde, kam aus einer von den Nazis verfolgten Familie.
Martin Weinhart blättert das in seinem Film ganz en passant auf, aber es gehört natürlich zur verschwundenen Biografie des obersten Fragestellers der Nation. Einer Biografie, die Lembke selbst verschwinden ließ und zu der er sogar seiner Tochter Nachfragen bei der Gefahr des Liebesentzugs verbot.
»Es geht niemand was an, das ist das ganze Geheimnis«, blockte Lembke, der als Robert Weichselbaum geboren wurde und nach der NS-»Rassenlehre« Halbjude war, Fragen nach seinem Privatleben ab. Er wurde im Nationalsozialismus entrechtet und gedemütigt. Doch das sollte niemand wissen.
Hielt es ihn gerade deshalb nach dem Krieg in München, der Hauptstadt der Bewegung? Weil sich seine Frau nicht von ihm trennte, blieben Lembke die allergrößten Schrecken des NS-Regimes erspart, er konnte - wenn auch teilweise unter falschem Namen - arbeiten, musste mit seiner Familie gegen Kriegsende auf einem bayerischen Dorf untertauchen und bekam dort als Augenzeuge die Todesmärsche aus den Konzentrationslagern mit.
Re-Education mit Charme und Schlips
»Meine Rolle bei ›Was bin ich‹? Ich betrachte mich als Teil der Studioeinrichtung«, kokettierte der ohnehin einer Aphorismenschleuder gleichende Lembke, als er längst zu den TV-Lieblingen der Nation gehörte. Im Film übernimmt das Johann von Bülow, der im Drama-Teil der Doku Lembke spielt: »Der Vorteil bei ›Was bin ich‹ ist, dass sich der Quizmaster keine Feinde machen kann. Es geht nicht um viel Geld. Alle Frage sind für jedermann erhellbar. Niemand spielt gegen jemanden.« Und gerade deshalb bekamen wohl auch die wenigsten mit, was Lembke da eigentlich machte. Das heitere Beruferaten, macht die Doku klar, war TV-Aufklärung, Erwachsenenbildung und so im besten Sinne Re-Education mit Charme und Schlips.
Dabei war der Job als Quizmaster nur eine so wichtige wie vergnügliche Nebenrolle. In der Hauptsache war Lembke, der nach dem Krieg zur Redaktion der von den Amerikanern gegründeten »Neuen Zeitung« gehörte, ab Ende der 1950er Jahre ranghohe Führungskraft beim Bayerischen Rundfunk. Hier führte er als Mitglied der Chefredaktion und stellvertretender Programmdirektor Sendungen wie »Die Stunde der Regierten« ein, in der es hautnah um das Verhältnis der Politik zu den Bürgerinnen und Bürgern ging - mit dem Fernsehen als Anwalt der kleinen Leute. »Der Staatsbürger neigt dazu, seine eigene Bedeutung zu unterschätzen«, lautet der dazu passende Lembke-Satz.
»Ja, der Opa ist Jude.«
Wie gutes Programm auszusehen hat? So, wie es in diesem Lembke-Aperçu definiert ist: »Die Politik hat was gegen das Fernsehen so wie Diebe gegen Alarmanlagen.« Diese Funktion, die Lembke dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinter die Ohren schrieb, sollte sich dieser gerade heute endlich wieder durchgehend bewusst machen. Doch der macht es wie immer - dieser unbedingt primtimetaugliche Film läuft am Montag in der ARD souverän zu nachtschlafender Zeit ab 23.35 Uhr.
Lembke wusste um die begrenzte Aufnahmefähig- und willigkeit der Menschen im Nachkriegsdeutschland. »Die Entfernung des Gewissens gehört zu den kleineren Operationen« ist noch so ein Satz von ihm. Beim BR machte Lembke rasch Karriere, übernahm als ARD-Hierarch Großprojekte wie die Koordination für das internationale Sendezentrum bei den Olympischen Spielen München 1972. Auch an der Fußball-WM 1974 war Lembke als TV-Manager beteiligt.
Autoritäres Schweigen
Es gehört zu den großen Stärken von »Robert Lembke - Wer bin ich«, dass auch die Kehrseiten dieses Verhaltens schonungslos ausgeleuchtet werden: Da war ein Macher mit Haltung, der sein Schicksal verbarg, um handlungsfähig zu bleiben - und sich dabei selbst entfremdete. Sein Schweigen hatte Folgen. Für ihn, für seine Tochter Ingrid (im Film gespielt von Jeanette Hain), für seine Enkelin Linda Benedikt. Die spricht im Film offen über das familiäre Trauma, das Lembkes autoritäres Schweigen hinterließ. »Ich saß auf den Trümmern dieser Biografie«, sagt sie. Und man glaubt ihr jedes Wort.
Martin Weinhart baut den Film, mit dessen Dreharbeiten schon 2019 angefangen wurde und der danach offenbar eine komplizierte Produktionsgeschichte hatte, klug auf. Sogar die meisten der Spielszenen machen Sinn. Sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt, illustrieren sie Gedanken, Brüche, Zweifel. Es sind gespielte Zitate, keine Nachstellungen.
Erst Jahre nach seinem Tod Anfang 1989 kommen im Keller des Münchner Hauses, in dem die Familie Lembke schon lange Zeit nach Etagen getrennt vor sich hinlebte, die US-Armeekisten und andere Behältnisse mit Akten und Dokumenten zum Vorschein, die seine wahre Biografie enthalten. Doch bis dahin blieb Tochter Ingrid in Lembkes Worten ein »Sicherheitsrisiko«. Denn ein einziges Mal hatte sie ihn immerhin so weit gebracht, dass er ihr bestätigt: »Ja, der Opa ist Jude.« Und sie danach zu lebenslangem Schweigen verdonnert.
»Robert Lembke - Wer bin ich?«, ARD, Montag, 9. Juni, 23.35 - 01.05 Uhr - und bereits ab Freitag, 7. Juni, in der ARD-Mediathek.