Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Sagen wir es einmal so: 14.000 Unterschriften – das ist nicht ganz so viel, wenn man bedenkt, dass kein Geringerer als der Musiker Chilly Gonzales die Online-Petition ins Leben gerufen hat. Und zwar mit allem Medien-Wumms, den man sich nur denken kann: eigenes Video und Auftritt im ZDF in Jan Böhmermanns Magazin Royale. Gonzales streitet in seinem Song »F*ck Wagner« dafür, die Richard-Wagner-Straße in Köln umzubenennen – am liebsten in eine Tina-Turner-Straße. Die nötigen Unterlagen hat er bereits beim Bezirksbürgermeister der Kölner Innenstadt eingereicht und wartet nun auf eine Entscheidung des Innenstadtparlaments.

Die Begründung des Sängers klingt so: »Die Richard-Wagner-Straße neu zu benennen, wäre keine Cancel Culture, sondern die Trennung des Werks vom Künstler. Wir fordern nicht, die Aufführung von Wagners Opern zu stoppen. Aber wenn eine Straße in der Kölner Innenstadt den Namen eines Antisemiten trägt, der nicht einmal eine enge Beziehung zu Köln hatte, ehren wir damit meines Erachtens einen unwürdigen Mann.«
Chilly Gonzales ist nicht der erste Wagner-Kritiker: Der ätzende Antisemitismus des Komponisten, der in der Schrift Das Judenthum in der Musik seinen ekligen Höhepunkt fand, geht längst untrennbar mit der Rezeption von Wagners Werk einher.

Dabei sind selbst in Israel die Wellen inzwischen ein wenig geglättet: Während der Aufschrei und der Protest noch groß war, als Daniel Barenboim Anfang der 2000er-Jahre (mit vorheriger Ansage) ein Stück Wagners in einem Konzert spielte, ist die Wagner-Debatte inzwischen eher eine Nischen-Diskussion geworden. Der Vorsitzende des israelischen Wagner-Verbandes, Jonathan Livny, argumentiert seit Jahren dafür, Wagner aufzuführen, da er sich seinen individuellen Musikgeschmack nicht von Hitlers Musikgeschmack vorschreiben lassen wolle.

Aufschrei und der Protest, als Daniel Barenboim Anfang der 2000er ein Stück Wagners spielte

»Die Erfüllung des Rechts vieler guter Menschen, einschließlich der Überlebenden des Holocaust, sollte nicht im Namen der Sensibilität gegenüber den Überlebenden des Holocaust verhindert werden«, argumentiert Livny und weist darauf hin, dass niemand gezwungen würde, Wagner zu hören. Livny weiter: »Israel importiert deutsche Autos, deutsche Technik, also so ziemlich alles, was auch unter Hitler wichtig war – da ist es schwer verständlich, dass ausgerechnet Wagner weiter boykottiert werden soll.«

Chilly Gonzales will Kölns Richard-Wagner-Straße in Tina-Turner-Straße umbenennen.

Dass die Wagner-Straßen-Provokation für relativ wenig Aufsehen gesorgt hat, könnte auch damit zusammenhängen, dass selbst in Wagner-Kreisen heute eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus des Komponisten stattfindet. Gerade auch in Bayreuth, wo die Festspiele an diesem Donnerstag mit einer Aufführung von Tristan und Isolde eröffnen.

Seit 2012 wird hier jeder Besucher mit 40 Tafeln konfrontiert, die im Festspielpark aufgestellt sind und unter dem Titel Verstummte Stimmen Deportationen, Ermordungen und Entlassungen jüdischer Musiker dokumentieren. Auch auf der Bühne spielt Wagners Antisemitismus immer wieder eine Rolle: sowohl in der Meistersinger-Inszenierung von Katharina Wagner als auch in der Folge-Inszenierung des jüdischen Regisseurs Barrie Kosky.

Die Festspiele kümmern sich seit der Intendanz von Katharina Wagner in Symposien und kritischen, historischen Veröffentlichungen immer wieder um Wagners Antisemitismus und die Rolle der Festspiele während des Nationalsozialismus.

Verbannung einer Skulptur von Herbert von Karajan im Theater Aachen in den Keller

Sven Friedrich, der Leiter des Bayreuther Wagner-Museums, setzt ebenfalls bewusst auf die öffentliche Befragung der Vergangenheit und empfindet das Entfernen von Straßennamen als verantwortungslos, ebenso wie die Verbannung einer Skulptur von Herbert von Karajan im Theater Aachen in den Keller, da der Dirigent mehrfach der NSDAP beigetreten war.

»Ich halte diese Tendenzen der Political Correctness für bedenklich«, sagt Friedrich. »Letztlich ist das eine Geschichts-Entsorgung, die in Wahrheit den Weg für Ideologien frei macht. Es ist in meinen Augen ahistorisches Denken, die Geschichte vor dem Hintergrund unseres heutigen Denkens und unseres derzeitigen moralischen Verständnisses nachträglich zu eliminieren. Es ist gefährlich, weil man dadurch die Türen für eine Identitätszerstörung öffnet und sich verwundbar macht. Wenn wir über die Entsorgung von Kunstwerken oder über Straßen-Umbenennungen reden, muss man das im Einzelnen beleuchten.« Im Falle Gonzales sagt Friedrich, dass man »nicht über jedes Stöckchen springen« müsse, das einem hingehalten würde.

Sven Friedrich kämpft derweil dafür, in Bayreuth ein Dokumentationszentrum über den Schriftsteller Houston Stewart Chamberlain zu errichten. Chamberlain war nicht nur Wagners Schwiegersohn und glühender Wagnerianer, sondern auch Vordenker von Hitlers Antisemitismus. Der Bayreuther Stadtrat hatte allerdings zunächst Bedenken angemeldet.

Transformation von Politik in Kunst bei Wagner und spätestens bei Hitler wieder zurück

»Houston Stewart Chamberlain ist eine Art Bindeglied zwischen Richard Wagner und Adolf Hitler«, sagt Friedrich. »2015 haben wir die Ideologie des Nationalsozialismus im Umgang mit dem Werke Wagners in unsere Ausstellung im Haus Wahnfried aufgenommen. Nun haben wir die Idee, dieses Thema über die Figur Chamberlain in dessen altes Wohnhaus in Bayreuth zu verlängern. Wir haben seine Bibliothek, und wenn man die sieht, wird einem atemberaubend klar, was für einen Horizont dieser Mann hatte. Es geht darum, das zu kontextualisieren und zu zeigen, wie die Transformation von Politik in Kunst bei Wagner stattgefunden hat und dann über Chamberlain wieder zur Transformation von Kunst in Politik wurde – spätestens bei Hitler.«

Friedrich glaubt daran, dass gerade durch die Erforschung von Chamberlains Denken eine Parallele zum aktuellen Erstarken des Antisemitismus und Nationalismus deutlich werden kann. »Ich halte es für eine sehr aktuelle Aufgabe, diese NS-Ideologiegeschichte als Kulturgeschichte zu dokumentieren«, sagt Friedrich, »da wir hier sehen, wie Ideologisierung sich vollziehen kann. Deshalb war ich über das Gutachten des Kulturausschusses überrascht, das die nötigen Gelder zunächst einmal abgelehnt hat. Es geht hier um ein Projekt internationaler Tragweite, und es würde Bayreuth aufgrund seiner einschlägigen Geschichte guttun, das auch zu dokumentieren«.

Vielleicht sollte Chilly Gonzales eine neue Petition starten – dieses Mal für das Chamberlain-Dokumentationszentrum in Bayreuth.

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