Geschichte

Blaublütige Komplizen

Foto: Theiss

Geschichte

Blaublütige Komplizen

Der Hochadel als Hitlers Geheimdiplomatie

von Tobias Kühn  07.10.2016 15:59 Uhr

Man sagt, Namen seien Schall und Rauch. Doch das stimmt nicht. Wer kann sich schon dem Wohlklang von Titeln wie »Herzog von Coburg« oder »Prinzessin zu Hohenlohe« entziehen? Bis heute lassen sich selbst aufgeklärte Zeitgenossen von Adelsprädikaten blenden. Da liegt es auf der Hand, dass auch Hitler dem Charme großer Namen erlag. Umgekehrt flog dem »Führer« so manch adliges Herz geradewegs zu. Denn mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus witterten etliche Herzöge und Prinzessinnen die Chance, sich aus der Bedeutungslosigkeit emporzuschwingen.

Die Londoner Historikerin Karina Urbach zeigt in ihrem Buch Hitlers heimliche Helfer, wie sich Vertreter des deutschen Hochadels mittels ihrer internationalen Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen als Geheimdiplomaten in den Dienst des NS-Regimes stellten. Hitler griff gern auf sie zurück – traute er doch seinen Berufsdiplomaten nicht über den Weg. Selbst 1938 hielt er das Auswärtige Amt noch nicht für hinreichend nazifiziert.

Faschismus Urbach zeigt, dass es vor allem die Angst vor dem Bolschewismus war, die Adlige dazu veranlasste, im Ausland für Hitler zu arbeiten. So soll Königin Maria von Rumänien, Tochter des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha, gesagt haben: »Der Faschismus ist zwar auch eine Gewaltherrschaft, aber immerhin lässt er Raum für Fortschritt, Schönheit, Kunst, Literatur, (...) für das gesellschaftliche Leben, für gute Sitten und Sauberkeit.«

Der Antisemitismus der Nazis störte den Adel nicht. Im Gegenteil, für viele war er ein gemeinsamer Nenner. »Die meisten deutschen Adligen«, schreibt Urbach, »assoziierten die Juden mit zwei Bewegungen, die ihnen aufs Tiefste widerstrebten: dem Liberalismus und dem Sozialismus.« Die Deutsche Adelsgesellschaft hatte bereits 1920 einen »Arierparagrafen« für ihre Mitglieder eingeführt. Eben jene 20er-Jahre waren es, in denen Adlige anfingen, der radikalen Rechten ihre Schlösser für geheime Treffen anzubieten.

Urbach hat in mehr als 30 Archiven in Europa und den USA unzählige Privatbriefe gesichtet. In ihrem Buch zeigt sie eine Dimension der Außenpolitik Hitlers, die bisher kaum bekannt ist. Doch scheint dies erst die Spitze des Eisbergs zu sein. Glaubt man Karina Urbach, dann wird in den nächsten Jahrzehnten noch so manche Verstrickung ans Licht kommen.

Karina Urbach: »Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht«, Übersetzt von Cornelius Hartz. Theiss, Darmstadt 2016, 460 S., 29,95 €

Fernsehen

Selbstermächtigung oder Männerfantasie?  

Eine neue Arte-Doku stellt den Skandalroman »Belle de jour« des jüdischen Schriftstellers Joseph Kessel auf den Prüfstand  

von Manfred Riepe  27.10.2025

Stuttgart

»Mitten dabei!«: Jüdische Kulturwochen beginnen

Konzerte, Diskussionen, Lesungen und Begegnungen stehen auf dem vielfältigen Programm

 27.10.2025

Biografie

Vom Suchen und Ankommen

Die Journalistin hat ein Buch über Traumata, Resilienz und jüdische Identität geschrieben. Ein Auszug aus ihrer ungewöhnlichen Entdeckungsreise

von Sarah Cohen-Fantl  26.10.2025

Alina Gromova

»Jedes Museum ist politisch«

Die neue Direktorin des Jüdischen Museums München über ihre Pläne

von Katrin Diehl  26.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Herbstkaffee – und auf einmal ist alles so »ejn baʼaja«

von Nicole Dreyfus  26.10.2025

Auszug

»Ein Neuanfang ist möglich«

Der israelische Schriftsteller Eshkol Nevo führt sein Kriegstagebuch trotz Waffenstillstand weiter

von Eshkol Nevo  26.10.2025

Geheimnisse und Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  26.10.2025

Aufgegabelt

Couscous mit Gemüse

Rezept der Woche

von Katrin Richter  24.10.2025

Rezension

Kafkaeskes Kino: »Franz K.«

Die Regisseurin, die für Hitlerjunge Salomon eine Oscar-Nominierung erhielt, hat das Leben des Schriftstellers verfilmt. Der Zuschauer darf »Franz K.« nicht nur als gequältes Genie-Klischee, sondern als dreidimensionalen Menschen erleben

von Patrick Heidmann  24.10.2025