Juvenile Verbrecher haben gerade Konjunktur – zumindest in TV-Serien. Der Riesenerfolg von Adolescence beweist das. In die gleiche Kategorie fällt auch Bad Boy, eine Dramaserie aus Israel, die nun auf Netflix zu sehen ist. Beide Produktionen beginnen ähnlich, mit einem überfallartigen Zugriff der Ordnungshüter auf den Protagonisten. Aus dem Kinderzimmer geht es direkt in den Knast. Sowohl Jamie Miller in Adolescence als auch Dean Shaiman in Bad Boy sind zum Zeitpunkt ihrerEinlieferung in eine Justizvollzugsanstalt gerade einmal 13 Jahre alt.
Doch damit enden die Parallelen bereits. Denn die israelische Serie, die aus der Feder von Ron Leshem stammt, einem Journalisten, der ebenfalls die Drehbücher zu preisgekrönten Produktionen wie Beaufort, Euphoria und Hatufim mitgeschrieben hat, geht einen völlig anderen Weg, weil Bad Boy auf zwei zeitlich unterschiedlichen Erzählsträngen basiert.
Einmal in der Gegenwart, in der der erwachsene Shaiman als Stand-up-Comedian auf der Bühne steht und sein Publikum mit Anekdoten aus der eigenen kriminellen Biografie in Stimmung bringt. Der andere Erzählstrang spielt in der Vergangenheit. Gezeigt wird, wie Shaiman als Teenager in den Gefängniskosmos eintaucht. Beides findet im ständigen Wechsel statt, was für erzählerisches Tempo sorgt, gleichzeitig aber die Dynamiken verdeutlicht, die den Alltag im Knast dominieren.
Im Gefängnis steht der 13-Jährige vor einem Dilemma
Direkt bei seiner Einweisung wird der Junge Zeuge, wie ein anderer Häftling brutal niedergestochen wird und verblutet. Er selbst steht nun vor dem Dilemma: Nennt er den Mörder, macht ihn das nach den Gesetzen der anderen Gefängnisinsassen zu einem Verräter. Widersteht Shaiman aber den Verlockungen, die im Falle einer Aussage winken, also die vorzeitige Entlassung, hat er seinen Platz in der Hierarchie sicher und wird von allen respektiert – für den 13-Jährigen ein schier unlösbarer Konflikt. Es wird nicht das einzige Dilemma bleiben, mit dem der Junge im Verlauf der Serie konfrontiert wird.
Immer wieder berichtet der erwachsene Shaiman seinem Publikum von solchen Momenten, die voller Grausamkeit, Verzweiflung oder überraschender Empathie sind. Aber das Publikum, das sie rund 20 Jahre später zu hören bekommt, bricht dabei regelmäßig in Lachattacken aus und klopft sich die Schenkel, so schräg und lustig findet es diese Situationen, die der Stand-up-Comedian da erzählt. Weil aber die Zuschauer der Serie die wahren Hintergründe kennen, wirkt dieses Lachen irgendwann gnadenlos brutal, fast schon ekelhaft und völlig unangemessen, weshalb man das Publikum, offensichtlich progressive wie auch aschkenasische Tel Aviver, schnell zu hassen beginnt.
Dieser abstoßende Effekt verstärkt sich, weil die juvenilen Gefängnisinsassen das andere Israel repräsentieren. Fast ausnahmslos sind sie misrachischer Herkunft, viele auch religiös. Shaimans Zellenmitbewohner und bald engster Vertrauter ist ein äthiopischer Jude. Stets changieren die Jugendlichen zwischen einem kindlichen Verhalten, das auch Momente von Zärtlichkeit kennt, und brutalster Gewalt.
Im Knast entdeckt der 13-Jährige dann auch sein erzählerisches Talent, lernt mithilfe einer Theaterpädagogin die Kunst des Witzeerzählens. Seine Zellengenossen sind die Ersten, die Shaiman, großartig gespielt von Guy Menaster, als Stand-up-Comedian feiern. Denn hinter Gittern entfalten seine Pointen bei den Zuschauern genau diese Art von befreiender Komik, die es 20 Jahre später vor einem »normalen« Publikum eben nicht geben kann.
»Bad Boy« (8 Folgen) ist auf dem Streamingdienst Netflix zu sehen.