Studie

Antisemitische Tendenzen bei fast jedem fünften Studenten

Studenten nehmen an einer antiisraelischen Kundgebung in Berlin teil. Foto: picture alliance/dpa

Fast 20 Prozent der Hochschüler haben antisemitische Einstellungen oder eine Tendenz dazu. Dies ergab eine Befragung von mehr als 2300 Studenten. Die Studie hatte das Bundesforschungsministerium nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel am 7. Oktober und den anschließenden antisemitischen Vorfällen an deutschen Hochschulen in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag im Ministerium in Berlin vorgestellt.

In der Studie wurde untersucht, wie sehr antisemitische Einstellungen allgemein vorhanden sind, wie Studierende zum Hamas-Terrorangriff und dem folgenden Krieg in Gaza stehen und inwieweit sie Diskriminierung erlebt oder beobachtet haben. Der Befragung zufolge hat rund ein Drittel der jüdischen Studierenden schon selbst Diskriminierung erlebt, mehr als die Hälfte hat dies an der Hochschule beobachtet.

71 Prozent der Studierenden stimmten der Aussage »der Überfall der Hamas auf Israel war ein verabscheuungswürdiger Terrorakt« zu. 12 Prozent stimmten aber auch der Aussage zu, der Angriff der Hamas auf Israel sei »Teil des legitimen Befreiungskampfes« der Palästinenser.

Potenzial für Radikalisierung

Bei etwa jedem Zehnten besteht nach Angaben des Verfassers der Studie, Thomas Hinz, das Potenzial für eine mögliche Radikalisierung. Diese zehn Prozent würden »von sehr umstrittenen Parolen und symbolisch gegen Israel gerichteten Aktionen angetriggert«, sagte der Konstanzer Soziologe.

Er sprach insgesamt aber von einem eher differenzierten Meinungsklima unter Studierenden: »Die große Mehrheit verurteilt den Angriff der Hamas auf Israel. Gleichzeitig sieht die Mehrheit das Vorgehen des israelischen Militärs kritisch und ist über die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung sehr besorgt.«

Als positiv hob der Bielefelder Gewalt- und Konfliktforscher Andreas Zick hervor, dass Studierende, die im deutschen Bildungssystem groß geworden seien, weniger antisemitisch orientiert seien, als jene, die nicht in Deutschland Bildung erfahren hätten. »Da funktioniert etwas dann doch«, sagte er.

Ablehnung oder Zustimmung

Um zu messen, wie sehr antisemitische Einstellungen allgemein unter Studierenden verbreitet sind, wurden ihnen Aussagen zur Ablehnung oder Zustimmung vorlegt, die in der Antisemitismusforschung zum Einsatz kommen, etwa: »Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen« oder »Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.«

Bei der großen Mehrheit (mehr als 80 Prozent) der Befragten zeigten sich dabei keine antisemitischen Haltungen. Bei 17 bis 18 Prozent gibt es allerdings solche Einstellungen oder eine Tendenz dazu.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte, die Ergebnisse seien nicht so, dass man zur Tagesordnung übergehen könne. Dass ein hoher Anteil jüdischer Studierender Diskriminierung erlebe oder beobachte, sei erschreckend.

Möglichkeit der Exmatrikulation

»Deshalb müssen Hochschulleitungen konsequent von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und die Länder ihr Hochschulrecht hinsichtlich der Möglichkeit einer Exmatrikulation in besonders schweren Fällen überprüfen und anpassen.« Nicht-jüdische Studierenden rief sie dazu auf, Zivilcourage zu zeigen und an ihren Hochschulen Stellung zu beziehen.

Auch der Zentralrat der Juden kommentierte die Studie: »Zum Antisemitismus an Hochschulen bedarf es noch weiterer Forschung, die vor allem auch die Betroffenenperspektive mit einbezieht«, erklärte der Präsident der jüdischen Dachorganisation, Josef Schuster.

»Die Antwort auf die Frage, warum Antisemitismus an Hochschulen noch präsenter und radikaler auftritt, obwohl Studenten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nicht anders zu denken scheinen, bleibt die grundsätzlich begrüßenswerte Studie des BMBF leider schuldig«, sagte er.

»Ein Grund könnte sein, dass an Universitäten leichter und gezielt Grenzen überschritten werden, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen außerhalb dieser wissenschaftlichen Einrichtungen noch gelten. Beruhigend wäre diese Erklärung freilich nicht«, so der Zentralratspräsident. dpa/ja

Erinnerungskultur

Wolfram Weimer will neues Gedenkstättenkonzept vorlegen

In der vergangenen Legislaturperiode war ein Gedenkstättenkonzept gescheitert. Der Kulturstaatsminister nimmt nun einen neuen Anlauf

 25.07.2025

Literatur

»What’s with Baum?«: Woody Allens erster Roman

Das Erstlingswerk soll wenige Monate vor Allens 90. Geburtstag erscheinen

von Imanuel Marcus  24.07.2025

Zahl der Woche

932.097

Fun Facts und Wissenswertes

 24.07.2025

Gaming

Zocken gegen Juden

Wie Rechtsextremisten und Islamisten Onlinespiele nutzen, um Anhänger zu rekrutieren

von Ralf Fischer  24.07.2025

Kolumne

Der »gute jüdische Junge«: Zeit, über ihn hinwegzukommen!

Abschied von einer Filmlegende, die mir im echten Leben noch nie begegnet ist

von Laura Cazés  24.07.2025

Zürich

»Unschätzbarer Wert«: Jüdische Schriftensammlung wird restauriert

Teilweise stammen die Bücher aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Sie sind Relikte einer von den Nazis in weiten Teilen zerstörten Breslauer Bibliothek. Sie sollen auch digitalisiert werden

von Leticia Witte  24.07.2025

Meinung

Rothenburgs jüdische Geschichte ist in Gefahr

In dem bayerischen Ort wurde die mittelalterliche Synagoge freigelegt – und soll nun wieder zugeschüttet werden. Ein skandalöser Umgang mit dem historisch bedeutenden Ort

von Johannes Heil  24.07.2025

Zahl der Woche

1004

Funfacts & Wissenswertes

 24.07.2025

Frankreich

Aktivisten verlangen Ausschluss von israelischem Team

Der Nahostkonflikt hat auch die diesjährige Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt überschattet

 23.07.2025