Lesen!

Albtraumurlaub

1928 stellte der Ullstein-Korrespondent Arthur Koestler nach ausgiebigen Reisen durch die arabischen Länder enttäuscht fest, dass der Europäer im Orient leider nie finde, was er sich erträumt habe: »Schmutz und Hitze statt Märchenzauber und statt Kolibris Ungeziefer.« Pauschaltouristen heute bleibt die Erkenntnis meist erspart, wie die Menschen im Orient tatsächlich leben. Die Hotelanlagen haben mitteleuropäischen Standard, die Sonne scheint, und der Strand ist sauber. »Einheimische« treten in der Regel nur als Personal in Erscheinung oder als folkloristische Staffage.

Was passieren kann, wenn die Urlaubsträume auf die Realität stoßen und zu Albträumen werden, davon erzählt Gernot Wolfram in seinem zweiten Roman Das Wüstenhaus. Ein süddeutsches Lehrerehepaar reist mit seiner halbwüchsigen Tochter im Frühjahr 2002 auf die tunesische Ferieninsel Djerba.

Flüssiggas Von Geschichte und Gegenwart des Eilands wissen die Urlauber nichts. Ein sich welt- und sprachgewandt gebender Berliner Journalist empfiehlt der Familie, die berühmte Al-Ghriba-Synagoge zu besuchen. Es ist der 11. April. An diesem Tag fährt ein mit 5.000 Litern Flüssiggas beladener LKW gegen das Gotteshaus und explodiert. 21 Menschen sterben, darunter auch das Lehrerehepaar. Zu dem Anschlag bekennt sich Al Qaida.

Die Tochter hat das Attentat überlebt. Sie war nicht mit in die Synagoge gegangen, sondern hatte vor dem Gebäude gewartet. Lakonisch, vorsichtig und fast unhörbar erzählt das Buch von den fortwirkenden seelischen Druckwellen der Explosion und von den Versuchen der Tochter, in ihrer aus den Fugen gegangenen Welt wieder Tritt zu fassen. Ihr Weg zurück ins Leben wird von Gernot Wolfram begleitet, nicht beschrieben. Und was nicht in Worte gefasst werden kann, steht zwischen den Zeilen. Das Wüstenhaus ist ein gerade wieder hochaktueller Roman über gutwillige deutsche Bildungsbürger, die in der vermeintlichen Urlaubsidylle von der Weltgeschichte eingeholt werden.

Gernot Wolfram: »Das Wüstenhaus«, DVA, München 2011, 224 S., 19,99 €

Yael Van der Wouden

»Es ist doch eine Liebesgeschichte!«

Die Schriftstellerin über Sexszenen, queeres Begehren und ihren Debütroman, der für den Booker Prize nominiert war

von Ayala Goldmann  26.03.2025

Jens Bisky

Fünf Jahre reichten aus

Der Kulturwissenschaftler schreibt opulent und facettenreich über das Ende der Weimarer Republik

von Ralf Balke  26.03.2025

Esther Dischereit

Das Bild, das nicht entsteht

Der Roman »Ein Haufen Dollarscheine« ist eine Herausforderung

von Nicole Dreyfus  26.03.2025

Literatur

Schreiben ohne Zwang

Unsere Autorin glaubte, dass sie in Zeiten von Krieg und Rechtsruck ihre Reichweite für Aktivismus nutzen müsse. Dann entschied sie sich doch wieder für die Kunst

von Lana Lux  26.03.2025

Todestag

Meister des himmlischen Blaus

Der Maler Marc Chagall starb vor 40 Jahren

von Jens Bayer-Gimm  26.03.2025

Los Angeles

Seth Rogen rechnet mit Hollywood ab

Die hochkarätig besetzte Comedyserie »The Studio« nimmt Hollywood bissig ins Visier. Star-Komiker Seth Rogen hat darin prominente Unterstützung

von Barbara Munker  26.03.2025

Zahl der Woche

12.466.215 Kinotickets

Funfacts & Wissenwertes

 25.03.2025

Weimar

Hochschule benennt Aula nach jüdischer Kammersängerin

Die einst gefeierte jüdische Sängerin wählte am 7. April 1942 gemeinsam mit ihrer Nichte Edith Gál unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung den Freitod

 25.03.2025

Fernsehen

Doku zum 100. Todestag zeigt fremde Gedankenwelt von Rudolf Steiner

Anlässlich seines hundertsten Todestags erinnert eine Arte-Dokumentation an Rudolf Steiner, den geschäftstüchtigen Begründer der Anthroposophie, und schlägt etwas bemüht den Bogen ins Tiktok-Zeitalter

von Manfred Riepe  25.03.2025