USA

Zurück in Windy City

Rahm Emanuel for Lord Mayor: Ob er tatsächlich der lachende Sieger sein wird, entscheiden die Wähler in ein paar Monaten. Foto: AP

Man erzählt sich, dass Rahm Emanuel einem früheren Mitarbeiter einst einen vergammelten Fisch geschickt habe, nachdem sich die Wege der beiden Männer getrennt hatten. Das ungezügelte Temperament Rahm Emanuels war einmal mehr in aller Munde, als er Anfang des Monats seinen Job als Stabschef im Weißen Haus an den Nagel hängte, um in seiner Heimatstadt Chicago Bürgermeister zu werden. Dort wird am 22. Februar 2011 gewählt.

Journalisten und viele Amerikaner fragen sich nun, ob eine so renommierte Person die Wahl nicht jetzt schon gewonnen hat. Aber es sieht nicht danach aus. Etliche verweigern Emanuel die Unterstützung, weil sie ihn als Teil der Obama-Regierung kennen und mit deren Israelpolitik nicht einverstanden sind. Diese Leute werden ihn nicht wählen, sagt Lori B. Sagarin, Erziehungsdirektorin der Synagoge Temple Beth Israel in Skokie, einem Vorort nördlich von Chicago. Die Mitglieder der Reformgemeinde – ihr gehören rund 450 Haushalte an – vertreten größtenteils einen zionistischen, aber linken, demokratischen, sozial-liberalen politischen Standpunkt.

»Ich habe nie daran gezweifelt, dass Rahm Emanuel sich dem Staat Israel verpflichtet fühlt«, sagt sie. Der frühere Stabschef kommt aus einer bekannten zionistischen Familie in Chicago. Sein Vater, Benjamin Emanuel, wurde in Jerusalem geboren. Vor der israelischen Staatsgründung war er Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation »Irgun«. Später wanderte er in die USA aus und wurde ein sehr bekannter Kinderarzt in Chicago. »Er hat eine ganze Generation behandelt. Leute meines Alters sind immer zu Herrn Emanuel gegangen«, sagt Sagarin.

Familie Emanuels Ehefrau, Amy Rule, konvertierte vor der Heirat zum Judentum. Die Familie ist Mitglied von Anshe Sholom Bnai Israel, einer modern-orthodoxen Gemeinde in Chicago. Das Ehepaar hat drei Kinder. Rahm Emanuel selbst nahm während des Golfkriegs 1991 zwei Wochen an einem Programm der israelischen Armee teil, um dort zu helfen.

Wie Emanuels Sprecherin, Lori Goldberg, der Chicago Tribune sagte, sei der ehemalige Stabschef ein starker Sponsor Israels. »Dass Rahm das Land unterstützt, ist sehr bekannt.« Als er von 2003 bis 2009 den Bundesstaat Illinois im Kongress vertrat, habe er in der jüdischen Gemeinschaft viele Anhänger gehabt, betont sie. »Er wird sich nicht ausruhen, sondern hart arbeiten, um die Unterstützung der jüdischen Wähler Chicagos zu verdienen«, so Goldberg.

Die jüdischen Wähler werden darauf achten, aus guten Gründen. Als Emanuel im Januar 2009 Stabschef im Weißen Haus wurde, nährte sein Hintergrund bei vielen die Hoffnung, dass die Politiker in Washington Israel als Opfer verstehen würden. »Dies ist nicht geschehen. Stattdessen übte das Weiße Haus auf Israel Druck aus, mit Terroristen zu verhandeln«, sagt Cheryl Jacobs Lewin, Co-Vorsitzende der Chicagoer Ortsgruppe von Americans for a Safe Israel (AFSI).

Fähigkeiten Aber kann die internationale Politik tatsächlich Bürgermeisterwahlen beeinflussen? Der 32-jährige Chesky Montrose, der in der Devon Allee, einer Gegend mit großem jüdischen Bevölkerungsanteil wohnt, bezweifelt es. Emanuels Chancen, zum Bürgermeister gewählt zu werden, hängen nicht nur davon ab, welchen Standpunkt er während seiner Zeit im Weißen Haus hatte, sondern vielmehr von seiner Fähigkeit zu regieren, meint Montrose. Auch wenn Emanuel früher Mitglied des Kongresses und Stabschef gewesen sei, ist er doch bisher nie in einer solchen Machtposition wie der eines Bürgermeisters gewesen. Juden, wie alle anderen Leute, haben auch das im Blick.

»Im Gegensatz zu seiner Zeit im Kongress sollte Emanuels Berufserfahrung angesichts seiner Rolle als Stabschef beurteilt werden«, sagt Cheryl Jacobs Lewin. Er hat bisher nicht gezeigt, dass er Kompromisse finden kann, doch das sei nötig für den Bürgermeister einer Weltstadt wie Chicago. Auch sei er kein guter Zuhörer und habe andere Führungsqualitäten, die das Oberhaupt einer großen Stadt braucht, bisher nicht unter Beweis gestellt, sagte sie.

Prinzipien Rabbiner Asher Lopatin von Emanuels Gemeinde Anshe Sholom Bnai Israel im Chicagoer Stadtteil Lake View, fällt ein milderes Urteil. Er stimmt der Kritik an Rahm Emanuel nicht zu. Er glaubt, dass viele Juden ihn wählen werden, selbst wenn sie nicht mit seiner Politik übereinstimmen.

»Ich denke, dass er ein sehr guter Manager ist, eine Person mit Prinzipien«, sagte Lopatin den Chicago Jewish News. »Wenn er es wirklich schaffen sollte, könnte er Großes leisten. Man mag von seiner Politik halten, was man will: Er ist ein prinzipienfester Mann, der seine Werte leidenschaftlich vertritt. Als Kongressabgeordneter war er sehr beliebt – auch bei Nichtjuden.«

Korruption Derzeit sieht es ganz danach aus, als ginge es im Kern gar nicht um Rahm Emanuels Israelpolitik oder um seine Fähigkeit zu regieren, sondern vielmehr um die politische Realität Chicagos. »Man weiß, dass es in der Stadtregierung Korruption gibt«, sagt Sagarin. Dem Vater des jetzigen Bürgermeisters Richard Daley wird vorgeworfen, Aufträge erteilt zu haben, für die er im Wahlkampf unterstützt wurde. Er ist nicht der Einzige, dem man solche Machenschaften nachsagt. Der frühere Gouverneur von Illinois, George Ryan, saß eine Zeit lang im Gefängnis wegen krimineller Geschäfte und Schwindel. Auch der frühere Gouverneur Rod Blogojevich wurde kürzlich wegen Korruption und Erpressungsversuchen angeklagt.

»Noch ist nicht klar, wer Chicago regieren wird«, sagt Sagarin. Die Stadt hatte lange Zeit weiße Bürgermeister. Jetzt aber gibt es nicht nur einen jüdischen Kandidaten, sondern auch viele afro- und lateinamerikanische. Chicago bleibe der ultimative Schmelztiegel. »Wir werden sehen, wie es weitergeht. Fest steht: Es wird eine holprige Fahrt.«

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