China

Zion in Fernost

Grabesruhe – auf diesem Friedhof im äußersten Nordosten Chinas herrscht sie nur bedingt. Ein eisiger Wind pfeift um die Ohren, der hart gefrorene Boden knirscht bei jedem Schritt. Sonnenstrahlen beleuchten einzelne vom Schnee fast vollständig bedeckte Grabsteine, auf denen Namen in hebräischen und kyrillischen Buchstaben stehen: Abramowitsch, Bonner, Kaufman. Mehr als 800 sind es. Das letzte auf Stein gemeißelte Todesdatum: 1963.

Vor mehr als 100 Jahren bezeichnete man Harbin als »Moskau des Ostens«. Droschken statt Rikschas bahnten sich ihren Weg durch die Kitaiskaja uliza, die chinesische Straße. Harbin war die größte russische Stadt außerhalb des Zarenreichs, dessen Einfluss mit dem Bau der Ostchinesischen Eisenbahn im Jahre 1898 begann. Die Schienen führten durch die Mandschurei und verbanden die sibirische Stadt Tschita mit den Meereshäfen Wladiwostok und Port Arthur. Ein gigantisches Kolonialprojekt, mit dem Knotenpunkt Harbin.

Mittelalterliche Kopfsteinpflaster, nordländisch anmutende Villen, Parkanlagen, die von schweizerischen und italienischen Stadtplanern entworfen wurden, prächtige Boulevards und in der Nähe des Sungari-Flusses gelegene Holz-Datschen lassen den Besucher noch heute die Nähe zu Mütterchen Russland spüren. Das Kaufhaus »Tschurin« erinnert in seinem Aussehen an Moskaus Hauptkaufhaus GUM. Ein weiteres Wahrzeichen war das 1913 von dem französischen Juden Madier erbaute und später unter dem Namen »Moderne« bekannte Hotel. Heutzutage mitnichten eine Nobeladresse.

nährboden Harbin – das Synonym für Multikulturalität. Im »östlichen Zion« lebten in den 1920er-Jahren ungefähr 15.000 Juden. Hier gab es, zu Beginn zumindest, keinen Antisemitismus wie in Russland, und keine restriktiven Ansiedlungsrayons, die wirtschaftliche Benachteiligungen mit sich brachten. Der ideale Nährboden für Pogromflüchtlinge, Siedlerpioniere und Kaufleute. Die Mandschurei galt einst als die größte Kornkammer der Welt, Namen wie Skidelski (Holz, Kohle, Mehl), Kabalkin (Sojaöl) oder Schikman (Zuckerrüben) begründeten den Ruf Harbins als Goldgräberstadt. Die hiesige Musikakademie rühmte sich, einen der talentiertesten Flüchtlinge aus Russland als ihren Dekan zu haben: den Geiger Wladimir Trachtenberg. Zwei Synagogen gab es in der Stadt, eine Jeschiwa, ein jüdisches Altersheim und ein Krankenhaus.

Japans Invasion von Chinas Nordosten im Jahre 1931 beendete die Träume von gründlichem Sesshaftwerden. Nach der Kapitulation Japans übernahm die Sowjetunion die Stadt und übergab sie an China. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Harbin zur revolutionären Schaltzentrale von Maos Kommunisten. Heute ist es eine Industriemetropole mit mehr als drei Millionen Einwohnern.

Spuren jüdischer Vergangenheit sind geblieben. Die als Museum wiedereröffnete Synagoge zeigt eine Ausstellung über die Blütezeit jüdischer Geschichte. In den Vierteln duftet es nach angebratenen Zwiebeln, und auf dem zugefrorenen Sungari-Fluss fahren Kinder wie vor 80 Jahren auf ihren Schlitten, geschoben von gutmütigen Großvätern. Ähnlich wie vor vielen Jahrzehnten.

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025