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»You shvitz!«

Ob’s stürmt, ob’s schneit oder die Sonne scheint: Ultraorthodoxe tragen bei jedem Wetter ihre traditionelle Kleidung. Foto: Getty

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»You shvitz!«

Wie Chassiden mit der brütenden Hitze in New York umgehen

von Hannes Stein  31.07.2012 11:45 Uhr

New York liegt auf einem Breitengrad, der – wenn man den Globus um seine eigene Achse in Richtung Europa dreht und dabei mit dem Finger immer auf der dünnen Linie bleibt – zwischen Rom und Neapel verläuft. Im Winter vergisst man das leicht, weil dann häufig Blizzards durch die Straßen von Manhattan, Brooklyn und Queens fegen. Ab Juni wird es warm. Im Juli ist es heiß und im August unerträglich. Es kann im Hochsommer vorkommen, dass man im Finanzdistrikt Leute in kurzen Hosen sieht.

Die Gluthitze von New York erinnert leider nicht so sehr an die trockene heiße Wüstenluft von Jerusalem als vielmehr an jene Waschküche, die Tel Aviv heißt. Doch in den Vierteln, in denen die Chassidim zu Hause sind – in Boro Park, in Williamsburg, in Crown Heights –, gehen auch an Tagen,an deren das Thermometer 40 Grad zeigt, die Frauen in knöchellangen Röcken und hochgeschlossener Bluse und Pullover herum. Auf ihren Köpfen tragen sie entweder Tücher oder gewichtige Perücken.

Hitze Die Männer haben es womöglich noch schwerer: dreiteilige Anzüge, darunter weiße Hemden mit langen Ärmeln und als Unterhemd den »Tallit katan«. Bei manchen chassidischen Sekten gehört zur Ausstattung unabdingbar noch ein Strejml dazu, eine Pelzmütze mit den Ausmaßen eines Wagenrades, wie sie vor 400 Jahren in Polen – als in Europa gerade eine kleine Eiszeit herrschte – bestimmt prima gegen die Kälte geholfen hat.

Wie halten die das nur aus? Wie machen die das? Bei einer Befragung durch die New York Times schälten sich vor Kurzem drei Gruppen von Antworten heraus.

Erstens: die konsequenten Leugner. »Ich glaube, mir ist nicht so heiß wie anderen Leuten, weil die Sonne nicht auf mich scheint«, erzählt eine dick angezogene Mutter von fünf Kindern. »Heiß und kalt – das findet alles nur im Kopf statt«, bemerkt ein älterer Mann mit Fedorahut. »Schau dir die Beduinen an! Sie leben in der Wüste und tragen doch viele Schichten Kleidung übereinander. Warum? Das schützt vor der Hitze«, meint ein Hutverkäufer in Brooklyn.

Zweitens: die beinharten Frommen. »Haschem will das so von uns!«, verkündet ein Chor aus Müttern mit Kindern am Arm, Männern mit Hüten und Pelzmützen auf dem Kopf. »Wenn das die Tradition ist, in der man aufgewachsen ist, kommt einem nicht in den Sinn, das als Last zu empfinden. Unsere Eltern, unsere Großeltern sind so herumgelaufen«, erklärt ein älterer Herr mit Schläfenlocken beim Kleiderkauf.

Drittens: die knallharten Realisten. »You shvitz!«, man schwitzt, verkündet ein jüngerer Mann.

First Amendment Drei Gesichtspunkte sollten hier vielleicht noch ergänzt werden: Der erste betrifft das First Amendment, der zweite die Religion, der dritte die moderne Technik.

Erstens: Es fiele dem Staat in Amerika nicht ein, eine Kleiderordnung zu erlassen. Fiele es ihm irgendwann doch ein, würde das First Amendment, das die Einschränkung der Grundrechte verbietet, ihn daran hindern. Ein Burkaverbot wäre in der Neuen Welt ganz einfach verfassungswidrig. Ebenso wenig könnte man sich vorstellen, dass ein Gesetz die chassidischen Männer und Frauen zwingen könnte, auf ein paar Lagen Stoff zu verzichten oder auf Seersucker – das ist dieses helle, leichte Baumwollgewebe, das an Krepp erinnert – umzusteigen.

Zweitens: Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass der Mensch im Sommer wie für den Winter angezogen sein soll. Wirklich nicht! Gewiss, es gibt in den Schriften allerhand Regeln über »zniess«, züchtige Kleidung, aber die haben keineswegs logisch zur Folge, dass man sich bei 40 Grad Hitze in Wollmäntel hüllen muss. Stillschweigend erkennen das übrigens auch manche Chassidim längst an, die Lüftungslöcher in ihre Strejmlmützen bohren oder Jacketts aus leichtem Stoff über ihre Westen ziehen.

Drittens: New York stöhnt zwar unter der brüllenden Hitze, aber die Menschen leben zum Glück auch in einem modernen Zeitalter, in dem es Elektrizität gibt – und Klimaanlagen. Viele Chassidim halten sich sommers wie winters kaum draußen auf. Sie hasten in den heißen Monaten von der (eisgekühlten) Wohnung in die (eisgekühlte) Jeschiwa oder ins (eisgekühlte) Büro und anschließend zum Beten in die (eisgekühlte) Synagoge. Und für die dortigen Temperaturen sind die Männer und Frauen und Damen dann genau richtig angezogen.

Schließlich sind Chassidim keine Amischen. Die ursprünglich aus Deutschland stammenden fundamentalistischen Protestanten ziehen sich zwar auch gleichförmig an, lehnen aber alles Moderne ab und betreiben Landwirtschaft nach alter Väter Weise. Niemals würden die Amischen so etwas wie Klimaanlagen installieren. Allerdings tragen sie im Sommer Strohhüte.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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