Glosse

Woher stammt der Minderwertigkeits-komplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen?

Was verbindet die Identitätskarte mit der Rappenspalterei, den Esel am Berg mit der Faust im Sack? Es sind Helvetismen, über die so mancher Deutsche stolpert, wenn er in der Schweiz landet. Ein Freund versteht mich tatsächlich manchmal nicht, wenn ich gewisse Ausdrücke verwende, die offenbar nur in der Schweiz gebräuchlich sind.

Ich übersetze dann und fühle mich gleichzeitig schlecht dabei. Das ist so eine Eigenart von uns. Wir fühlen uns gegenüber Deutschen oft minderwertig, wenn es um Sprache und Eloquenz geht. Aber zu Recht? Denken Schweizer tatsächlich auch langsamer, weil sie sich langsamer artikulieren? Mitnichten.

Helvetisches Kolorit

Woher also stammt dieser Minderwertigkeitskomplex vieler Schweizer gegenüber Deutschen, die es wiederum charmant finden, das helvetische Kolorit herauszuhören? Wenn es dann stolz von deutscher Seite heißt: »Ich habe Schweizerdeutsch recht gut verstanden« – und dabei ist nicht der Dialekt, sondern die mit Akzent gefärbte Standardsprache gemeint –, so fühlt sich manch einer schnell beleidigt.

Umgekehrt reagiere auch ich jedes Mal echauffiert, wenn »änet em Rhy« (auf der anderen Seite des Rheins) behauptet wird, Hochdeutsch sei eine Fremdsprache. Wie bitte? Geht’s noch? Hochdeutsch ist keine andere Sprache! Sie ist nur das Ergebnis einer Normung. Zugegeben, es klingt in deutschem Ohr vermutlich etwas seltsam, wenn Schweizer Hochdeutsch sprechen.

Aber sie haben in dieser Hinsicht vielleicht ein speziell sprachliches Gehör, leben sie doch in einem Land mit vier Landessprachen – oder sagen wir vielleicht besser fünf. Englisch ist die inoffizielle Landessprache. Und wenn sich Deutsch- mit Westschweizern, den Romands, unterhalten und Englisch sprechen, dann ist das nicht als »clash of culture«, sondern als Armutszeugnis zu bezeichnen. Natürlich ist es gut, Englisch als universelle Sprache zu fördern, aber nicht zulasten der Nationalsprache.

Der Blick auf die Sprachgeschichte zeigt, dass die meisten europäischen Staaten nach dem Prinzip aufgebaut sind: eine Sprache, ein Volk. Da ist die Schweiz eine große Ausnahme. Es ist nun einmal so, dass hier vom – Vorsicht, Helvetismus – Straßenputzer bis zum Hochschulprofessor Dialekt gesprochen wird – zum Beispiel Berndeutsch, Bündnerdeutsch, Zürichdeutsch, Baseldeutsch, Zürichdeutsch, Solothurnerdeutsch oder Walliserdeutsch.

Schweizer Hochdeutsch

Es wird überdacht von der schweizerischen Variante des Standarddeutschen, dem Schweizer Hochdeutsch (in der Schweiz auch Hochdeutsch, Schriftdeutsch oder Schriftsprache genannt), das dann mit Helvetismen angereichert ist. Und so fahren Schweizer mit dem »Tram« ins »Spital« oder auf »Schulreise«, lassen dabei dem Autofahrer den »Vortritt« und essen dazu »Spanischi Nüssli«. Das darf keineswegs zu Hemmungen führen.

Sollten dennoch ungute Gefühle gegenüber dem »großen Kanton« aufkommen, zumindest sprachlich, so sei das Lied »Hemmige« des Berner Chansonniers Mani Matter empfohlen: »Sʼgit lüt, die würden alletwäge nie, es Lied vorsinge, so win ig jitz hie, eis singe um kei prys, nei bhüetis nei, wil si hemmige hei …«

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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