Interview

»Wir stärken jüdisches Leben«

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Foto: Sabine Engels

Herr Schulz, das EU-Parlament führt dieses Jahr erstmals eine eigene Zeremonie zum Internationalen Holocaust-Gedenktag durch. Warum erst jetzt?
Wir waren in den vergangenen Jahren der Gastgeber, aber die Organisation lag weitgehend in den Händen jüdischer Verbände. Dieses Jahr haben wir gesagt: Es ist uns so wichtig, dass wir uns auch institutionell und organisatorisch daran beteiligen.

Die Gedenkstunde hat bereits am Dienstag stattgefunden. Warum nicht am 27. Januar?
Dieser Tag ist für uns als Parlament terminlich schwierig. Wir haben uns daher darauf geeinigt, das Gedenken vorzuziehen. Das hat mit den Sitzungsrhythmen zu tun und ist keine inhaltliche Entscheidung.

Das Gedenken ist ein Blick in die Vergangenheit. Wie wichtig ist der EU das jüdische Leben in Europa heute?
Unser Parlament, in dem Abgeordnete aus 27 Ländern vertreten sind, ist sicher einer der geeigneten Orte, um zu zeigen, dass jüdisches Leben ein wichtiger Bestandteil unserer europäischen Kultur ist. Wir wünschen jüdisches Leben, verteidigen es, und wo es möglich ist, stärken wir es.

In Frankreich, Schweden und Ungarn ist im vergangenen Jahr die Zahl antisemitischer Angriffe besorgniserregend gestiegen. Was unternimmt die EU dagegen?
Solange ich das Amt des Parlamentspräsidenten bekleide, wird jede Art von antisemitischer Aktivität bei uns öffentlich debattiert. Gerade die Vorgänge in Ungarn sind nirgends radikaler und klarer diskutiert und kritisiert worden als im Europäischen Parlament. Und übrigens: Die Europäische Kommission hat mehrfach Verfahren eingeleitet, wenn sie die Grundrechte jüdischer Bürger gefährdet sah.

Warum aber hat die EU keine gemeinsame Strategie gegen Antisemitismus?
Es gibt eine gemeinsame Strategie der EU, aber es gibt keine gemeinsame Strategie ihrer Mitgliedsstaaten. Darin liegt das Problem. Es ist zunächst Aufgabe der nationalen Behörden und Regierungen, sich gegen jede Art von Antisemitismus auszusprechen. Die Autorität, mit der wir als europäische Institution auftreten, muss sich kombinieren mit der Autorität, mit der nationale Organe auftreten. Die Kritik sollte sich also eher an manche Regierungen richten, von denen ich durchaus den Eindruck habe, dass sie dem Antisemitismus nur sehr zögerlich entgegentreten.

In einem Brief haben Israels Oberrabbiner kürzlich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy aufgefordert, einen Ausschuss zu gründen, der den Antisemitismus in Europa beobachtet und bekämpft.
Der Europäische Rat, dem Herr Van Rompuy vorsitzt, kann das nicht. Da hätten die Oberrabbiner besser auch noch an den Präsidenten der Europäischen Kommission und an mich geschrieben, denn im Europaparlament können wir einen solchen Ausschuss einsetzen.

Mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments sprach Tobias Kühn.

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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