Herzlich willkommen zur J-Street-Jahreskonferenz im Convention Center von Washington! »Giving Voice to our Values« (Unseren Werten eine Stimme geben) ist das Motto. »Mehr als 2.000 Teilnehmer« hätten sich zu dem Treffen angemeldet, sagt eine lächelnde Dame, die die Pressevertreter begrüßt. »Sind denn mehr Juden oder mehr Araber hier?«, frage ich die Dame. »Das ist Rassenprofiling«, sagt sie aufgebracht. Ich habe gelernt, dass es unangebracht ist, in Amerika »Jude« zu sagen. Aber ist das hier nicht J Street? Und steht das J nicht für Jude? »Das ist Ihre Interpretation«, erwidert sie.
J Street ist eine amerikanische Bürgerinteressengruppe, die sich für eine führende Rolle der USA bei der Lösung des Nahostkonflikts einsetzt. Im April 2008 gegründet, unterstützt J Street sowohl Israel und sein Bestreben nach Sicherheit als auch das Recht der Palästinenser auf einen souveränen Staat. J Street will vor allem ein Gegenpol zu AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), der mächtigsten pro-israelischen Lobbygruppe, sein.
Am ersten Abend der viertägigen Veranstaltung, die am Dienstag zu Ende ging, steht eine Miss Lerner auf dem Podium. »Nächstenliebe und Mitgefühl brachten mich zu J Street«, sagt sie und stellt dann den »einflussreichsten Rabbiner« in Amerika vor: David Saperstein. Der steht in der Mitte der großen Bühne. Zwei riesige Leinwände zu seiner Rechten und Linken vergrößern ihn vielfach und verleihen der schmalen Figur Stärke.
Ansehen Der Rabbiner redet über Demokratie und globale Toleranz, er spricht von Gott, über die Armen, über Oslo und dann darüber, dass man das Ansehen Israels unter den Völkern wiederherstellen muss. Seine Rede liest er von vielen Blättern ab, die er mit seinen Fingern rasch wendet. Man kann schwer sagen, ob er ein Blatt sucht oder es schon zweimal gelesen hat. Die Teilnehmer sitzen an zahlreichen runden Tischen, die dem Event etwas von einer Hochzeit verleihen. Aber es gibt hier nichts zu essen, sondern nur Reden.
Auch Jeremy Ben-Ami, der Präsident von J Street, spricht. Glücklich sei er, dass »über 2.000 Menschen in den kommenden Tagen mit dabei sein werden«. Und er fügt hinzu: »Unsere Bewegung hat mehr als 170.000 Unterstützer«. Die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten, sagt Ben-Ami, hätten ihn darin bestätigt, dass es an der Zeit sei, eine Heimat für die Palästinenser zu finden. »Wir haben sowohl die Linken als auch Rechten zu einer freien, offenen und angeregten Diskussion eingeladen.«
Dann tritt ein Student mit Kippa aufs Podium. Er sagt, dass er in Israel geboren wurde und erzählt davon, wie schlecht er sich während des jüngsten Gaza-Kriegs gefühlt habe, als so viele Palästinenser getötet wurden. Mehr als Juden. Das Publikum applaudiert. Auch in der Presseloge spenden Journalisten Beifall.
Hebrenglisch Am zweiten Tag der Konferenz spricht ein Professor, der gerade aus Tunesien und Ägypten zurückgekehrt ist. Der Aufstand in der arabischen Welt, lässt er uns wissen, war vorhersehbar. Frieden sei möglich, sagt er, und auch die Araber würden ihn wollen. Als der Professor genug gesagt hat, spricht ein ehemaliger israelischer Minister im feinsten israelischen Englisch, das mitunter schwer zu verstehen ist. Er sagt, Israel müsse mit allen verhandeln: mit Syrien, Saudi Arabien und dem Rest des Alphabets. Der Mann weiß alles, versucht er uns zu erklären. Deswegen sei er auch kein Minister mehr. Er werde wieder in sein Amt zurückkehren, aber nur wenn er will.
Dann geht eine Dame namens Mona auf die Bühne und spricht über die Gewaltlosigkeit der Araber. »Beendet die Gaza-Blockade!«, fordert sie, und die Teilnehmer applaudieren. Später gibt es ein Podiumsgespräch mit fünf Knessetabgeordneten. Nach der Diskussion frage ich sie, wer denn ihre Reise bezahlt hat, die Knesset oder J Street? »J Street«, antwortet jemand. Und J Street bringe sie auch in den schönen Hotels unter, sagen sie. Ich bitte den Parlamentarier Hasson von der Kadima-Partei um einen Kommentar zur jüngsten Empfehlung J Streets an die Obama-Regierung, kein Veto gegen die Resolution im UN-Sicherheitsrat einzulegen, die Israel verurteilen sollte – eine Politik, mit der sich J Street durchaus ein paar Feinde in der jüdischen Welt gemacht hat. Hasson ist gegen die Empfehlung und beteuert, er habe es J Street gesagt. »Wann denn?«, frage ich. »Ich habe es vertraulich empfohlen.« »Und warum nicht öffentlich?«, möchte ich wissen. »Weil ich nicht gefragt wurde«, antwortet er.
Ich lasse Hasson allein und gehe wieder ins J-Theater. Denn heute Abend liest ein israelischer Dramatiker. Das Ganze dauert zwei Stunden, kann aber mit einem Satz zusammengefasst werden: »Juden sind kaltblütige Mörder, während Palästinenser romantische Lieblinge sind.« Geschrieben hat das Stück ein Jude, Regie führt ein Jude, und produziert hat es auch ein Jude.
Die Obama-Regierung scheint J Street zu mögen, denn sie hat Dennis Ross auf die Konferenz geschickt, den Unterhändler im Nahost-Friedensprozess in den 90er-Jahren. Das ist ein Sieg für J Street. Eine Anerkennung.
Der Autor ist Gründungsdirektor des Jewish Theater of New York.