Niederlande

Wahlkampf mit Bannfluch

PVV-Listenkandidat: Gidi Markuszower Foto: pw

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Wahlkampf mit Bannfluch

Gidi Markuszower, der jüdische Kandidat der rechten Wilders-Partei, wühlt die Medien auf

von Tobias Müller  20.04.2010 18:21 Uhr

Bis vor Kurzem war Gidi Markuszower Mitglied im Rat der Nederlands-Israëlitische Hoofdsynagoge (NIHS) Amsterdam und in der politischen Landschaft der Niederlande ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Doch das hat sich schlagartig geändert: Als die rechte Partij voor de Vrijheid (PVV), an deren Spitze der umstrittene Anti-Islam-Politiker Geert Wilders steht, vergangene Woche ihre Kandidatenliste für die vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni veröffentlichte, stand der 32-jährige Jurist und Unternehmer als Neuling gleich auf dem fünften Platz. Der Einzug ins Parlament ist ihm damit so gut wie sicher. Und die erstaunten Medien fragen sich, wer denn nun dieser Aufsteiger sei.

schlagzeilen Lange hielt das Rätselraten nicht an. Wenige Tage später war Markuszower bereits der schlagzeilenträchtigste Kandidat der PVV. Verantwortlich dafür ist ein Antrag, den er Ende März beim Synagogenrat einreichte: Darin fordert er, Gemeindemitglieder, die den Goldstone-Bericht der Vereinten Nationen verteidigen, mit einem lebenslänglichen Bann zu belegen. Der Bericht wirft sowohl Israel als auch der Hamas Verstöße gegen das Kriegsvölkerrecht während des Gazakriegs 2008/09 vor. Laut Markuszower, in der Vergangenheit Sprecher der niederländischen Likud-Abteilung, gefährde der Bericht »des südafrikanischen feigen und gefährlichen Juden Goldstone« das Fortbestehen Israels. Juden, die das Dokument nicht verurteilten, seien »Verräter in unserer Mitte«.

Der vorgeschlagene Cherem (hebräisch für Bann) beinhaltet neben der Verbannung aus der Synagoge auch ein Verbot, auf jüdischen Friedhöfen begraben zu werden. Zudem dürfen Gemeindemitglieder Ausgestoßene nicht grüßen. In einer E-Mail, die der Amsterdamer Tageszeitung De Pers vorliegt, erläuterte Markuszower: »Im alten Polen (wo meine Wurzeln liegen), wussten wir Rat mit solchen verächtlichen Jüdchen. Die wurden einfach aus der Synagoge gesetzt und aus dem Schtetl geworfen, bestenfalls. Im schlimmsten Fall wurden diese in den kalten Wäldern Osteuropas zurückgelassen und nie mehr wiedergefunden.« Weiterhin bedauert Markuszower, dass diese Praxis in Westeuropa nicht mehr bestünde.

spinoza Die Verbannung ist im niederländischen Judentum seit Jahrhunderten nicht mehr gebräuchlich. Einer der letzten Betroffenen war der Philosoph Baruch Spinoza, der 1656 wegen »abscheulicher Ketzereien« verstoßen wurde. Der Rat der Ams- terdamer Gemeinde hat über Markuszowers Vorschlag noch nicht abgestimmt. Der Jungpolitiker selbst wird an der Entscheidung aber nicht mehr mitwirken: Nach der heftigen Kritik der vergangenen Woche ist er aus dem Gremium ausgetreten. Die Leitung der NIHS distanzierte sich in einem Pressebericht »von jeder Auffassung, die nicht durch die formelle Vertretung (Verwaltung und Direktion) verkündet wird«. Direktor Benno van Praag erklärte auf Anfrage, die Gemeinde sehe von jeder weiteren Stellungnahme ab.

In der PVV liegt Markuszower indes auf Kurs – zumindest mit seiner Ablehnung des Goldstone-Berichts. Die PVV- Galionsfigur Geert Wilders hat nach einem Kibbuz-Aufenthalt als junger Mann und Dutzenden weiterer Besuche nicht nur eine enge persönliche Bindung zu Israel. Auch politisch verteidigt er die »Oase von Demokratie und westlichen Werten im Mittleren Osten« als Bollwerk gegen die Islamisierung. Auch der PVV-Abgeordnete Raymond de Roon findet, man müsse den Goldstone-Bericht »einfach in den Mülleimer schmeißen«. Auf Platz 24 der aktuellen Kandidatenliste findet sich mit dem Publizisten Wim Kortenoeven auch ein Vertreter des Informations- und Dokumentationszentrum Israel (CIDI).

delikte Ins Gerede ist Gigi Markuszower übrigens noch wegen einer anderen Geschichte gekommen: Wie die Zeitschrift Vrij Nederland meldete, war er 2008 bei der Feier zum 60-jährigen Bestehen Israels in Amsterdam kurzfristig festgenommen worden, weil er als Bewacher unerlaubterweise eine Pistole getragen hatte. Nach eigener Auskunft besaß er damals zwar einen Waffenschein, der allerdings nicht den Transport der Waffe beinhaltete. Der Verstoß sei daher, wie er sagt, vergleichbar mit »einem Verkehrsdelikt«.

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