Tunesien

Vorsicht im Maghreb

Desillusioniert: Jacob Lellouche Foto: Hannah Magin

Drei Jahre nach dem Sturz von Diktator Ben Ali hat Tunesien eine neue Verfassung. Die Nationalversammlung billigte sie am Sonntag mit großer Mehrheit. Die jüdische Minderheit des nordafrikanischen Landes wird demnach zwar weiterhin keine unmittelbar diskriminierende Gesetzgebung befürchten müssen, doch die gesellschaftliche Realität ist für die schätzungsweise rund 1500 Juden im Land alles andere als rosig. Viele sind verunsichert.

Angriffe »Manche verbergen ihre jüdische Identität aus Angst vor Diskriminierung«, sagt Daniel Cohen, Rabbiner der Synagoge von La Goulette, einem Vorort der Hauptstadt Tunis. Missstände beim Namen zu nennen, wagt Cohen nicht. Spricht man ihn darauf an, dass die Zahl antisemitischer Angriffe und Demonstrationen seit dem Sturz Ben Alis im Januar 2011 drastisch zugenommen hat, sagt er: »Das sind die Taten einer kleinen Minderheit. Die meisten Tunesier sind am Judentum positiv interessiert.«

Jacob Lellouche, Restaurantbetreiber und Mitglied der jüdischen Gemeinde von Tunis, erklärt, in dieser Phase der Neukonstituierung des Landes würde das Sprechen über Antisemitismus als Provokation aufgefasst, als Versuch, die Bevölkerung zu spalten. Lellouche ist der einzige Jude, der im Herbst 2011 bei den nationalen Wahlen für die Verfassungsgebende Versammlung antrat. Einen Sitz bekam er nicht.

Lellouche scheint mit seiner Meinung nicht allein zu sein. Die Revolution hat zwar für ein Aufblühen der tunesischen Zivilgesellschaft gesorgt, Minderheitenvereine sprossen aus dem Boden. Doch eine Organisation, die sich mit Antisemitismus beschäftigt, sucht man vergebens. Wer das Thema Judenhass anspricht, wird eingeschüchtert, erlebt gar körperliche Gewalt.

So wurde vergangenes Jahr das Büro der »Assoziation zur Unterstützung von Minderheiten« in Tunis ausgeraubt, nachdem dort eine Veranstaltung zum Thema »Holocaust« stattgefunden hatte. Die Assoziation war im Internet bedroht und antisemitisch beschimpft worden. Mitarbeiter vermuten, dass die halboffizielle »Liga zum Schutz der Revolution« den Überfall zu verantworten hat. Sie steht der Ennahda nahe, der stärksten Partei in der Verfassungsgebenden Versammlung.

Antizionismus Die antisemitischen Kräfte im Land können sich auf den in der Bevölkerung fest verankerten Antizionismus verlassen. Tunesien unterhält keine diplomatischen Beziehungen mit Israel, es hat den jüdischen Staat nie offiziell anerkannt.

Eine der ersten Amtshandlungen der Verfassungsgebenden Versammlung war denn auch der Versuch, alle »Normalisierungsversuche« gegenüber Israel unter Strafe zu stellen. In der Verfassung selbst sollte festgeschrieben werden, dass der Zionismus ein Verbrechen sei. Damit wären auch alle wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zu Israel sogar für Privatpersonen kriminalisiert. Auf Druck der USA wurde der Verfassungsartikel zwar zurückgenommen, aber man brachte den Zionismus an anderer Stelle unter: in der Präambel. Dort wird nun emphatisch auf den palästinensischen Kampf als Widerstand gegen Besatzung und Rassismus verwiesen. Der Boykott Israels wird nicht mehr direkt erwähnt.

Kontakte nach Israel sind jetzt zwar offiziell straffrei, doch sie zu vermeiden, ist ein ungeschriebenes Gesetz, das streng befolgt wird. So verbat das Sportministerium im vergangenen Herbst dem Tennisprofi Malek Jaziri, gegen einen Israeli anzutreten. Dies ist ein Fall von vielen, der beispielhaft für den Druck steht, den die Mehrheitsgesellschaft gegenüber denen ausübt, die sie mit dem jüdischen Staat identifiziert.

Tunesien muss weiterhin um politische Stabilität ringen. Dschihadisten kämpfen an der Grenze zu Algerien gegen staatliche Sicherheitskräfte. Und wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage kommt es immer wieder zu Demonstrationen, Unruhen und Streiks.

Auch darum verlassen viele Juden das Land im Maghreb. Jacob Lellouche sieht für sie keine große Zukunft in Tunesien: »In 15 bis 20 Jahren wird es hier keine Juden mehr geben«, sagt er, »die jüdische Gemeinde stirbt aus.«

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025