Österreich

Von Yids und Superjuden

Das Spielfeld ist an sich klar definiert: Es misst 105 mal 68 Meter, also 7140 Quadratmeter. Die Geschichte des Fußballs und seiner Fans ist jedoch ein kompliziertes Feld – mit vielen Facetten und auch Abgründen.

Warum nennen sich die Fans des niederländischen Fußballvereins Ajax Amsterdam »Superjuden«? Und wieso bezeichnen sich die Fans von Tottenham Hotspur FC als »Yids«? Was hat es mit dem ersten Wiener Fußballverein Vienna FC und den Rothschilds auf sich? Und wieso wird der FK Austria Wien bis heute antisemitisch beschimpft, während der Klub lange Zeit eine teils zutiefst neonazistische Anhängerschaft hatte? Und wie kommt es, dass der FC Bayern München in Israel zwei riesige Fanklubs hat? Tja, der Fußball endet nicht an der weißen Linie am Spielfeldrand, sondern strahlt weit über die Tribünen hinaus.

Wie kommt es, dass der FC Bayern München in Israel zwei riesige Fanklubs hat?

Das Jüdische Museum Wien hat sich dieser Strahlkraft angenommen und empfindet in dreieinhalb Räumen nach, wie ein Mannschaftssport der Arbeiterklasse zum Massenphänomen wurde, in dem jüdische Bezugspunkte bis heute maßgeblich sind.

»Wir wollen zeigen, dass die jüdische Geschichte überall ist«, so die Direktorin des Jüdischen Museums und Kuratorin der Ausstellung, Barbara Staudinger. Und auch wenn der Schwerpunkt der Schau nicht Wien ist, so ist Wien doch ein wesentlicher Ankerpunkt.

FIXSTERN Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Wien eine Fußballstadt. Es gab »jüdische Klubs«, in denen die Mehrheit der Spieler aber gar nicht jüdisch war; und es gab Klubs, deren Spieler mehrheitlich jüdisch waren, die jedoch nicht als »jüdische Klubs« angesehen wurden. So wie heute war Fußball auch damals ein Fixstern im Leben vieler. Schriftsteller gingen Fußball-Schauen.

Etwa Friedrich Torberg – heute würde man sagen, ein »Ultra« des jüdischen Vereins SK Hakoah, in der Zwischenkriegszeit eine Mannschaft von Weltrang. Später war Torberg auch glühender Fan der Wiener Austria. »In Wien war die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas beheimatet, jüdische Identität liegt in der DNA dieser Stadt«, sagt Kuratorin Staudinger.

Vor allem aber auch: »Es wurde nicht in dem Ausmaß wie heute national gedacht, wohl weil die ersten Spiele noch zur Zeit der Habsburgermonarchie ausgetragen wurden.« Und: Das Betätigungsfeld Fußball sei offen gewesen, so Staudinger weiter: »Fußball war neu, es gab noch keine Seilschaften, die Juden ausgeschlossen hätten.« Das solle aber keinesfalls bedeuten, dass es damals keinen Antisemitismus im Stadion gegeben habe.

TRADITION Schon damals war Fußball zugleich auch ein Betätigungsfeld der Reichen. So steht die Familie Rothschild etwa hinter der Gründung des »Vienna FC« – ein Verein, der ebenso wie seine Anhängerschaft bis heute den Ruf genießt, keinerlei Hass, Gewalt oder auch Unsportlichkeit zuzulassen. Applaudiert wird da demonstrativ auch für die Gegner. Randalierer werden aus dem Stadion gebeten.

Der »Vienna FC« war übrigens der erste Klub in Österreich, der sich auf Betreiben der Fans offensiv den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte des 20. Jahrhunderts stellte – in Österreich ist das vor allem die Zeit ab der »Machtergreifung« des austrofaschistischen Regimes 1933 über dem Bürgerkrieg 1934, den »Anschluss« an Nazideutschland 1938 bis 1945.
»Ein Stadion ist kein demokratischer Ort, ein Stadion ist ein Ort der Massenmobilisierung«, sagt Barbara Staudinger. Und gewissermaßen habe Elias Canetti schon recht gehabt: »Masse ist gefährlich.« Da ist dieser Faktor, wie sie sagt: »Stadien polarisieren.« Und das völlig willkürlich. Denn es gehe nicht nur um Position, sondern auch um Emotion.

Und so kommt es, dass sich die Fans von Ajax Amsterdam »Superjuden« nennen. Der Grund ist ebenso trivial wie überraschend: Das erste Stadion des Klubs wurde in einem hauptsächlich jüdischen Viertel gebaut, Hooligans anderer Klubs hatten die Anhänger von Ajax Amsterdam folglich antisemitisch beschimpft und drangsaliert. Heute schwenken Ajax-Fans die israelische Flagge im Stadion.

Ähnlich verhält es sich mit Tottenham Hotspur FC. Das Stadion des Klubs stand in einem verarmten Londoner Vorort, in dem sich vor allem jüdische Migranten aus Osteuropa niedergelassen hatten – die Anhängerschaft war folglich überproportional jüdisch. Und was hat es mit dem FK Austria Wien auf sich? Er galt bei seiner Gründung 1911 als der »jüdischste Klub« Wiens, sagt Staudinger – ähnlich wie etwa Bayern München für Deutschland. Einer der legendären Klub-Funktionäre der 1920er-Jahre, Kurt Hahn, Inhaber eines Elektro- und Radiogeschäfts in Wien, musste fliehen, wurde in Frankreich von den Nazis festgenommen, inhaftiert, aber ihm gelang die Flucht. Nach Österreich kam er nie zurück.

BIOGRAFIEN Andere sind zurückgekehrt. Darunter auch Norbert Lopper, vor dem Krieg Spieler bei Hakoah – dann interniert, gefoltert und nur knapp dem Tod entronnen. Nach dem Krieg konnte er aufgrund von Folterverletzungen kaum mehr spielen – gründete aber den ersten Fan-Klub der Austria und wurde auch Klubsekretär.

Es sind genau solche Biografien, die den Fußball in Wien wie in Europa geprägt haben – während viele Klubs ihre jüdische Geschichte aber lange nicht angesprochen und antisemitische Tendenzen in der Fangemeinde lange toleriert haben.

Ein Stadion ist ein Ort der Massenmobilisierung, sagt Kuratorin Barbara Staudinger.

Und heute? »Die Klubs machen sehr viel«, sagt Barbara Staudinger über die Gegenwart. Man habe allerdings viel zu lang weggeschaut.

einblick Es ist eine kleine Ausstellung, die Staudinger und Agnes Meisinger zusammengestellt haben. Aber eine, die einen unvergleichbaren Einblick in eine Materie bietet, in der sonst Klischees dominieren. Klein ist die Ausstellung aber wohl auch, weil es zu dem Thema keine Archive gibt, keine Anlaufstellen, kaum Forschung. »Das schafft man nur, wenn man alle Leute anruft, die man kennt«, antwortet Staudinger auf die Frage, wie man an Informationen komme, wo man anfange zu suchen.

»In den meisten Vereinsmuseen findet sich dazu so gut wie gar nichts«, sagt sie. So waren es letztendlich private Sammler, die Artefakte bereitgestellt und bei der Recherche geholfen hätten. Es sei eine »Begeisterungswelle« unter ebensolchen Sammlern gewesen, von der die Arbeit zu der Ausstellung letztlich getragen wurde.

Die Ausstellung » Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion« ist noch bis zum 14. Januar 2024 zu sehen.
www.jmw.at

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