Verzweifelt auf gepackten Koffern

In einem Wohnheim für russisch-jüdische Zuwanderer, Köln 1996 Foto: Herby Sachs / version

Sie haben ihre Wohnungen und Arbeitsplätze aufgegeben, ihre Kinder von den Schulen abgemeldet - also die Brücken hinter sich abgebrochen. So schildern es Menschen aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als jüdische Zuwanderer nach Deutschland kommen wollen, in einem Offenen Brief. Doch den folgenden Schritt können sie momentan nicht gehen: Wegen der Einreisebeschränkungen in der Corona-Pandemie bekommen sie derzeit nicht wie ursprünglich geplant die nötigen Visa in den Behörden.

Aus dem Brief spricht Verzweiflung: Minutiös hätten sie sich auf die Ausreise vorbereitet und Eigentum verkauft, weil alle Voraussetzungen für die Zuwanderung gegeben waren. Nun sitzen sie fest - bisher ohne Aussicht, aus diesem Zustand herauszukommen. Viele haben ihren Wohnsitz bereits abgemeldet und kein festes Einkommen mehr, seien von kostenloser medizinischer Behandlung ausgeschlossen. Unterzeichnet haben den Brief auch Menschen, die als ihre Heimat Belarus angeben.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat sich bereits an die Bundesregierung gewandt.

Das Auswärtige Amt bestätigt die Situation. »Die Einreise jüdischer Zuwanderinnen und Zuwanderer ist von den schrittweise erfolgenden Ausnahmen von den Einreisebeschränkungen im Zuge von Lockerungen bisher nicht umfasst«, schreibt die Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Antje Leendertse, auf eine Frage der Grünen- Bundestagsabgeordneten Filiz Polat, die sich auf Juden aus der Russischen Föderation bezieht.

Daher würden derzeit keine Visa für diesen Personenkreis erteilt und keine Termine vergeben, ergänzte Leendertse. Die Bundesregierung sei jedoch damit befasst, Einreisebeschränkungen für Zuwanderer »baldmöglichst aufzuheben«.

EMPÖRUNG Polat zeigt sich empört. Potenzielle jüdische Zuwanderer aus der Russischen Föderation seien von Terminen für die Visumserteilung im deutschen Konsulat in Moskau ausgeschlossen - obwohl Termine für andere Angelegenheiten bereits wieder vergeben würden, erklärte sie.

Die Bundesregierung bleibe eine Antwort auf die Frage schuldig, warum Ausnahmen und Lockerungen der Einreisebeschränkungen nicht für jüdische Zuwanderer gelten, kritisierte sie am Freitag in Berlin. »Vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist das ein Armutszeugnis.«

Die Betroffenen stünden wegen der Einreisebeschränkungen vor »massiven persönlichen Herausforderungen« und bräuchten dringend eine Perspektive. »Die Bundesregierung steht in der Verantwortung, die Einreisebeschränkung für die Betroffenen schnellstmöglich aufzuheben«, fordert Polat.

ZENTRALRAT Nach Angaben des »Tagesspiegels«, der zuerst über die Vorgänge berichtete, hat sich bereits der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, an die Bundesregierung gewandt. Sie müsse den Sachverhalt prüfen, »um diesen unerträglichen Zustand so schnell wie möglich zu beenden«, sagte er der Zeitung. Betroffene sollten rasch die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland zu reisen.

Der »Tagesspiegel« verweist auf Lockerungen bei coronabedingten Einreisebeschränkungen etwa für Spätaussiedler mit deutschen Vorfahren. Im Terminvergabesystem des Auswärtigen Amtes heißt es, dass derzeit ausschließlich Anträge von Spätaussiedlern und ihren Familienangehörigen angenommen werden könnten. Was die jüdische Zuwanderung angeht, könne aktuell »keine Ausnahme vom Annahmestopp gewährt werden«. Wer trotz dieser Regelungen einen Termin buche, werde im Konsulat abgewiesen und für die weitere Terminbuchung vorerst gesperrt, heißt es.

Die Bundesregierung müsse den Sachverhalt prüfen, »um diesen unerträglichen Zustand so schnell wie möglich zu beenden«, fordert der Zentralrat der Juden.

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums verwies darauf, dass die am 17. März angeordneten Einreisebeschränkungen an den deutschen Schengen-Außengrenzen seit dem 2. Juli gelockert wurden. Das Ministerium prüfe »laufend die Ausnahmetatbestände der geltenden Einreisebeschränkungen«.

ERFOLGSGESCHICHTE Seit 1990 kamen mehr als 100.000 Juden aus der Sowjetunion nach Deutschland. Diese Entwicklung führte zu einer Vergrößerung der Gemeinden und zu Neugründungen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) hatte Schuster den Zuzug und die Integration als Erfolgsgeschichte bezeichnet.

Die Menschen, die derzeit in Russland oder Belarus ausharren, schreiben nun, sie fühlten sich als jüdische Zuwanderer wegen der Einreisebeschränkungen mit Touristen gleichgestellt.

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025