Türkei

Telegram und Verschwörungstheorien

Derzeit in Haft: Telegram-Chef Pawel Durow Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Spätestens mit der Festnahme des Telegram-Gründers Pawel Durow am 24. August in Paris steht der umstrittene Messenger-Dienst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Auch die einflussreiche türkische Zeitung »Sabah«, die zur regierungsnahen Çalık Holding gehört und für anti-israelische Hetze bekannt ist, griff das Thema auf. Allerdings anders als erwartet.

Noch Anfang August machte Sabah Telegram für die Ausbreitung des Drogenhandels und »Glücksspielpropaganda« verantwortlich und deutete eine baldige Sperrung des Netzwerks in der Türkei an. Nun wurde Telegram plötzlich zur »Bastion der Freiheit und Wahrheit« erkoren: Während Meta-Plattformen wie WhatsApp, Instagram und Facebook längst von Israel »kontrolliert« seien und eine Berichterstattung über den »Völkermord« in Gaza unterbinden würden, erfahre die Welt vor allem über Telegram »von israelischen Gräueltaten«, so der neue Zungenschlag.

Vorwürfe der französischen Justiz

Die Vorwürfe der französischen Justiz gegen Durow, unter anderem wegen Drogendelikten, seien ein Vorwand, um Telegram mundtot zu machen, heißt es. Der Telegram-Chef sei Opfer eines israelisch-westlichen Komplotts.

Obgleich die Zeitung keine Beweise für ihre Verschwörungstheorien präsentiert, wurde der Bericht in Russland genauso aufgegriffen wie im Iran, der Telegram seit Jahren bekämpft und bis vor Kurzem noch als »zionistisches Machwerk« bezeichnete.

Eine vermeintlich israelische Spur im Fall Durow findet aber auch die sensationslustige britische »Daily Mail«. Sie verweist auf die 24-jährige Influencerin Julia Wawilowa, die ihren 15 Jahre älteren russischen Lebensgefährten Durow nach Paris begleitet hat: Es wird geraunt, die gebürtige Russin sei eine Mossad-Agentin, die den Telegram-Chef in eine »romantische Falle« gelockt und den Franzosen ausgeliefert habe.

Die internationalen Gerüchte haben unterschiedliche Hintergründe und Ziele, jedoch nutzen sie alle das ambivalente Verhältnis zwischen Telegram und Israel.

Auch für die romantische Spionage-Geschichte gibt es keine Belege. Sie spielt vielmehr auf den in Großbritannien gut bekannten Fall Mordechai Vanunu an: Nachdem der israelische Atomtechniker der »Sunday Times« 1986 Informationen über Israels Atomwaffenprogramm geleakt hatte, wurde der Whistleblower auf einer »Liebesreise« mit einer Agentin nach Israel entführt.

Die internationalen Gerüchte haben unterschiedliche Hintergründe und Ziele, jedoch nutzen sie alle das ambivalente Verhältnis zwischen Telegram und Israel. Obwohl der libertäre Unternehmer Durow nie explizit israelfeindlich oder antisemitisch aufgefallen ist, lässt er Judenhasser und Holocaust-Leugner in Telegram-Kanälen und -Gruppen völlig frei gewähren. Im aktuellen Gaza-Krieg nutzt die Hamas die Plattform nahezu ungehindert, um ihre Fälschungen und Verzerrungen zu verbreiten.

Telegram gewinnt in Israel zunehmend an Bedeutung

Telegram, das auch in Israel zunehmend an Bedeutung gewinnt, lässt sich meistens nicht auf die Zusammenarbeit mit israelischen Behörden ein. So wäre die von der EU angestrebte »Normalisierung« des Messengers und das daraus resultierende entschlossene Vorgehen gegen Antisemitismus tatsächlich im Interesse Jerusalems.

Dass Telegram einiges gegen Judenhass tun könnte, zeigt sich am Beispiel des von Istanbul aus betriebenen islamistischen Telegram-Kanals »Utro Dagestan«, über den im Oktober 2023 eine antisemitische Welle in der russischen, muslimisch geprägten Teilrepublik Dagestan losgetreten wurde. Nach dem Versuch eines Judenpogroms am Flughafen der Hauptstadt Machatschkala ließ Durow den Kanal umgehend sperren, wohl auch, um sein ohnehin schwieriges Verhältnis zu Putins Regime nicht weiter zu strapazieren. Dieser Fall ist allerdings die Ausnahme. Telegram bleibt weiterhin ein Hort von Juden- und Israel-Hassern, die auch die aktuelle Telegram-Affäre nutzen, um anti-israelische Ressentiments zu schüren.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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