Viele Menschen lieben ihn für seine ultimative Britishness: Stephen Fry - Autor, Talkmaster und gefeierter Schauspieler genauso am Theater wie in Kinoblockbustern, darunter »Der Hobbit«, »Harry Potter« und »Sandman«. In Großbritannien ist der bärige Londoner wohl beliebter als der König selbst. Zumindest war er das bis zum 25. Dezember. Da hat sich Fry für die sogenannte alternative Weihnachtsansprache, das Gegenstück zur offiziellen des Königs, den Kameras von Channel 4 ausgesetzt und knapp sechseinhalb Minuten lang die Wahrheit gesagt.
Vorm Kaminfeuer und mit Tannenbaum und Teekanne an der Seite saß Fry im dezenten Weihnachtspulli im Lehnsessel und teilte aus gegen den auch in Großbritannien grassierenden Antisemitismus. Und er eröffnete die Ansprache mit einer »Wahrheit über mich selbst, von der ich nie gedacht hätte, dass sie jemals ein Thema sein könnte, über das ich mir in diesem Land Sorgen machen müsste, ist, dass ich Jude bin. Ja, Sie haben richtig gehört, ich bin ein Jude. Das mag einige Leute überraschen.«
Mit gewohnter Nonchalance und spitzer Zunge servierte der 66-Jährige seine Gedanken über das, was sich in seinem Land gerade abspielt. Der irische Denker und Schriftsteller Conor Cruise O’Brien habe einmal gesagt, dass »Antisemitismus ein leichter Schläfer« sei. »Nun, er scheint in letzter Zeit aufgewacht zu sein. Die schrecklichen Ereignisse vom 7. Oktober und die israelische Reaktion darauf scheinen diesen uralten Hass wieder aufgewühlt zu haben.«
Großeltern vor Nazis nach Großbritannien geflohen
Dann kam er zu dem Fakten: Gemäß Statistiken der Metropolitan Police habe es seit dem 7. Oktober allein in London täglich 50 antisemitische Vorfälle gegeben, was einem Anstieg von 1350 Prozent entspreche. »Schaufenster wurden eingeschlagen, Davidsterne und Hakenkreuze an die Wände von jüdischem Eigentum, Synagogen und Friedhöfen geschmiert. Jüdische Schulen wurden zur Schließung gezwungen«. Jüdische Menschen hätten zunehmend Angst, sich zu zeigen. »In Großbritannien. Im Jahr 2023«, so Fry ungläubig.
Er sei froh, dass seine jüdischen Großeltern, die in den 30er-Jahren vor den Nazis nach Großbritannien fliehen konnten, das nicht miterleben müssen. Denn »sie glaubten, dass Britisch-Sein bedeutet, fair und anständig zu sein, aber was kann unfairer oder unanständiger sein als Rassenhass, ob als Antisemitismus, Islamophobie oder in irgendeiner anderen Form?«
Über den Krieg in Israel sagte er: »Es ist quälend, all die Gewalt und Zerstörung zu sehen, die sich da abspielt, und der schreckliche Verlust von Menschenleben auf beiden Seiten erfüllt mich mit großer Traurigkeit und Herzschmerz. Aber unabhängig davon, wie wir zu den Ereignissen stehen, kann es keine Entschuldigung für das Verhalten einiger unserer Bürger geben.«
»Seien Sie stolz darauf, Jude oder Jüdin zu sein«
Er wisse schon lange, dass sein Name auf Listen britischer Juden stehe, die einige rechtsextreme Zeitungen und Websites im Laufe der Jahre veröffentlicht haben. Aber er werde »verdammt noch mal« nicht zulassen, »dass Antisemiten mich definieren und das Wort Jude für sich beanspruchen, indem sie es mit ihrem eigenen gehässigen Gift versetzen. Ich akzeptiere und beanspruche die Identität.«
Und er endete mit den Worten:
»In dieser Zeit, in der der antijüdische Rassismus am stärksten seit Beginn der Aufzeichnungen zunimmt, sollten Juden aufrecht und stolz auf das stehen, was sie sind. Und das sollten Sie auch, unabhängig von Ihrer genetischen Veranlagung. Aufrecht zu stehen bedeutet, seine Stimme zu erheben und giftige Verleumdungen und hasserfüllte Beschimpfungen zu verurteilen, wo immer man ihnen begegnet.
So wie ich dieses Land kenne und liebe, glaube ich nicht, dass es für die meisten Briten in Ordnung ist, in einer Gesellschaft zu leben, die den Hass auf Juden als einzige akzeptable Form des Rassismus betrachtet. Also erheben Sie Ihre Stimme, stehen Sie zu uns, seien Sie stolz darauf, Jude oder Jüdin zu sein - oder, wenn Sie gar kein Jude sind, stolz darauf, dass wir genauso ein Teil dieser großartigen Nation sind wie jede andere Minderheit, wie jeder von Ihnen.«
Natürlich ließ der Backlash nicht auf sich warten. In Social Media fiel der antisemitische Mob sofort über Stephen Fry her. Denn, wie es der Mob so an sich hat, hat er sich die Ansprache anscheinend nicht wirklich angehört. Schlüsselworte reichten offenbar völlig, um Fry vorzuwerfen, das Leid in Gaza zu ignorieren oder sich selbst zum Opfer zu machen. Einer der ältesten antisemitischen Vorwürfe der Welt. sal