Niederlande

Ständige Bedrohung

Zerstörte Fensterscheibe: das Restaurant »HaCarmel« im Amsterdamer Süden nach dem jüngsten Anschlag im Mai Foto: imago images/Pro Shots

Vergangene Woche sind die neuen Scheiben eingesetzt worden, auch die israelische Flagge weht vor dem Schriftzug »Fleisch, Fisch & Vegetarisch« wieder im Wind.

Wie viele andere Gastronomiebetriebe in den Niederlanden hat das Restaurant HaCarmel am südlichen Rand von Amsterdam kürzlich seine Türen wieder geöffnet. Bei HaCarmel stand jedoch in der Zwischenzeit noch weit mehr auf dem Spiel als die Corona-Gefahr und drastische Umsatzverluste.

passanten An einem Freitag Anfang Mai klaffte wenige Stunden vor Schabbatbeginn in der linken Hälfte der Fensterfront des Res­taurants ein großes Loch, und über die rechte Seite zog sich ein Riss. Viele Passanten, die es sahen, schüttelten den Kopf, andere wandten sich ab – einige wenige grinsten, als sie den Schaden sahen.

Verantwortlich dafür war ein Mann in Tarnkleidung. Er hatte am Morgen mit einem Stahlrohr die Scheibe eingeschlagen und versucht, eine israelische Flagge, die dahinter stand, in Brand zu stecken. Unter Einsatz von Pfefferspray wurde er festgenommen.

Im Laufe des Tages stellte sich heraus, dass derselbe Mann Ende 2017 unter »Allahu Akbar«-Rufen die Fenster des Restaurants eingeschlagen hatte. Saleh A., ein 31-jähriger syrisch-palästinensischer Asylbewerber, war dafür 2018 zu sechs Wochen Gefängnis, psychologischer Behandlung und einem Platzverbot verurteilt worden – wegen Vandalismus.

vorwand Dass ihm weder Terrorismus noch ein Hassverbrechen zur Last gelegt wurde, sorgte nicht nur bei den jüdischen Einwohnern der Hauptstadt für Unmut. Bis heute steht der Vorwurf im Raum, die psychische Labilität des Täters sei nur ein Vorwand für seinen aggressiven Antisemitismus.

Auch Daniël Bar-On, der gemeinsam mit seinem Vater Sami Eigentümer des Restaurants HaCarmel ist, versteht dies nicht. »Wenn jemand eine bestimmte Gegend nicht betreten darf, erwarte ich, dass das Verbot auch umgesetzt wird.«

Doch da ist nicht nur Saleh A., der seit einigen Wochen in Untersuchungshaft sitzt. HaCarmel hat weitere Feinde. Mitte Mai wurden sieben Buchstaben mit dickem, schwarzem Marker auf die geborstene Scheibe geschmiert: »Find Jew« – Findet den Juden.

BOMBENATTRAPPE »Zum vierten Mal – und immer ist es dieselbe Handschrift«, sagt Daniël Bar-On. »Zum ersten Mal geschah es vor acht Monaten – das haben wir damals nicht publik gemacht.« Doch als im Januar eine Bombenattrappe vor dem Restau­rant gefunden wurde, ging er an die Öffentlichkeit. »Sie wollen uns Angst machen«, sagte Daniël Bar-On damals der Lokalzeitung »Het Parool«. »Aber wir lassen uns nicht einschüchtern.«

Es ist ein Satz, den er und sein Vater immer und immer wieder sagten – auch nachdem Anfang 2018 die Scheibe mit Essensresten beschmiert worden war und wenige Wochen später jemand einen Stein gegen das Fenster geworfen hatte.

All die aus vorbeifahrenden Autos gezeigten Mittelfinger und die Spuckeflecken von Passanten zählen die beiden schon lange nicht mehr.

überwachungskameras Derzeit wertet eine Sicherheitsfirma die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus. Erkenntnisse zum Hintergrund der jüngsten Bedrohung gibt es noch nicht.

Daniël Bar-On macht sich unterdessen Gedanken, wie man »die Balance zwischen Gastfreundschaft und Sicherheit« aufrecht­erhalten kann. »Wenn die Polizei vor der Tür steht, ist es im Haus zwar sicher, aber eben nicht mehr gastfreundlich.«

Kürzlich hat Amsterdams Bürgermeisterin Femke Halsema mit ihm über seine Situation gesprochen. Mit dem Verlauf des Gesprächs war er zufrieden. Er begrüßt, dass sich die Stadt an der laufenden Gefahrenanalyse beteiligt und Schutzmaßnahmen angekündigt hat. »Aber den Worten müssen auch Taten folgen«, sagt er.

Vor allem das Restaurant »HaCarmel« ist immer wieder Ziel von Angriffen.

Unter jüdischen Unternehmern in der Stadt wird derzeit viel über die latente Bedrohung des HaCarmel gesprochen. Michiel Cornelissen, Eigentümer des koscheren Lebensmittelgeschäfts Mouwes, ist grundsätzlich zufrieden mit den bestehenden Sicherheitsvorkehrungen. »Es wird einiges getan«, sagt er, »aber es scheint nicht genug zu sein.«

Ambivalent ist auch Bianca Canjels, die Besitzerin des für seine sauer eingelegten Spezialitäten bekannten Traditionsunternehmens De Leeuw Zuurhandel. Sie lobt das »wahnsinnig gute Nachbarschafts­team« der Polizei, das jeden Tag vorbeischaue. Deswegen sei sie nicht beunruhigter als sonst. »Wir haben aber auch keine israelische Fahne im Schaufenster. Sobald da eine hängt, ist das offenbar anders. Ich fürchte, es hat damit zu tun, dass man sich als jüdisches Unternehmen zu erkennen gibt.«

SICHTBARKEIT Schwierig ist die Situation vor allem für Unternehmer, die neu starten, wie das Kulturzentrum Oy Vey, das noch keine eigenen Räumlichkeiten hat und Veranstaltungen in der alten Uilenburger Synagoge organisiert.

Die Vorfälle bei HaCarmel sehe man »im Kontext zunehmender Sichtbarkeit antisemitischer Vorfälle weltweit und in den Niederlanden«, erklärte der Vorstand auf Anfrage. Selbst bewerte man die Sicherheitslage regelmäßig mit der Polizei und Experten des nahen Jüdisch-Kulturellen Quartiers. Gerade durch die »größere Sichtbarkeit jüdischen Lebens in der Stadt« hofft Oy Vey dazu beizutragen, »antisemitische Ressentiments zu vermindern«.

Ähnlich äußert sich Sofyan Mbarki, Fraktionsvorsitzender der Amsterdamer Sozialdemokraten. Die antisemitisch motivierten Zerstörungen bei HaCarmel seien »nicht nur ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Unternehmer, sondern aller anderen Amsterdamer, die in der Stadt leben dürfen, wie sie wollen, und die Toleranz hochhalten«.

bekenntnis Nach den Angriffen auf das Restaurant 2018 hatte Mbarkis Partei das sogenannte »Amsterdamer Jüdische Abkommen« mitunterzeichnet. Es enthält das Bekenntnis, sich in der Legislaturperiode bis 2022 »konkret und sichtbar für Sicherheit und Entfaltungsmöglichkeiten der jüdischen Gemeinschaft in Amsterdam einzusetzen«.

Daniël Bar-On, für den Aufgeben keine Option ist, findet, die Politik müsse nun liefern – »sonst kann man das Abkommen auch zerreißen«.

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