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Sieben Räume Liebe

Dr. Ruth’s »Game of Good Sex« Foto: Ouriel Morgensztern

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Sieben Räume Liebe

Von Lilith bis Leidenschaft: Die Ausstellung »Love me Kosher« im Jüdischen Museum Wien

von Stefan Schocher  02.10.2022 20:19 Uhr

Ein Thema wie Sex und Judentum in sieben Räumen abzubilden, scheint auf den ersten Blick ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Den Bogen zwischen dem Fantastischen, dem Paradiesischen und dem Faktischen zu ziehen, der jüdischen Tradition und ihrer lebensnahen Interpretation, durch das Spannungsfeld zwischen orthodoxer Identität und sexueller Realität – und all das aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart, das war das Ziel der Ausstellung Love me Kosher im Jüdischen Museum Wien.

»Es ist ein sehr komplexes Thema«, gesteht Julia Windegger, eine der drei Kuratorinnen der Ausstellung. Es habe mit Traditionen aus »sehr alten Geschichten« zu tun, »die allesamt von Männern geschrieben wurden«. Ein Thema, in dem Mystik, Schrift und Lebensrealitäten miteinander verschmelzen.

vielschichtigkeit Es ist aber eben nicht zuletzt die Vielschichtigkeit der jüdischen Sexualmoral selbst und die sich daraus ergebende Uneindeutigkeit, die die Ausstellung wiederzugeben vermag. Denn in der jüdischen Sexualmoral, betont Windegger, sei Frauen immer eine eigene Sexualität zugestanden worden. Durch die ganze Ausstellung zieht sich der lebensbejahende Aspekt des Themas Sex.

Die Schau beginnt und endet mit dem Paradies. Den ersten Raum, von dem aus man die Runde durch Vergangenheit und Gegenwart, Lehre und Realität macht, hat der Multimedia- und Aktionskünstler André Heller gestaltet – angelehnt an seine paradiesischen Gärten in Marokko und am Gardasee.

Die Schau beginnt und endet mit dem Paradies.

Durch dieses Paradies betritt man die Ausstellung – und kann dann abzweigen: entweder gleich zum koscheren Sexshop und aus der Gegenwart dann weiter in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und hinein in die 1920er-Jahre; oder erst einmal hinein in die orthodoxe Glaubenslehre und weiter in das Spannungsfeld aus Tradition und vorwärtsgewandter Weltsicht. Denn, und das tritt später in der Ausstellung klar zutage, es war eben auch die im Vergleich zur katholischen viel weiter gefasste jüdische Sexualmoral, die der gesellschaftlichen Liberalisierung der 1920er-Jahre den Weg bereitete.

FOTOGRAFIEN Aber Sex und Religion, das ist immer ein Graubereich zwischen Leidenschaft und Fantasie auf der einen Seite und Moral und Dogmen auf der anderen. Und so sind es die großartigen Fotografien des Berliner Künstlers Benyamin Reich, der orthodoxe Juden in intimen Porträts abbildet, die sich im zweiten Raum der Ausstellung finden, gleich neben religiösen Schriften aus dem 16. Jahrhundert sowie einem Gemälde von Chagall und einem von Picasso. Ebenso präsent sind der Wiener Maler Arik Brauer, ein fantastischer Realist und Mystiker, und Sigmund Freund – an ihm kommt in Wien keiner vorbei, und schon gar nicht, wenn es um das Thema Sex geht.

Wieso aber Wien? Wien war eine erzkonservative katholische Residenzstadt – mit einer jüdischen Bevölkerung, die in den liberalen 1920er-Jahren zehn Prozent ausmachte. Die Stadt beherbergte damals die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas – und eine sehr bunte Gemeinde in ihrer Zusammensetzung.

Die jüdische Sexualmoral war ein Türöffner für feministische Bewegungen

Aus allen Teilen der damals gerade untergegangenen k. u. k. Monarchie kamen Menschen nach Wien, darunter sehr viele Juden. Und so ist das kulturelle Leben der Stadt in der Moderne – und damit das kulturelle Fundament des heutigen Wien – eben zu einem beträchtlichen Teil jüdisch: Literatur, Malerei, das neue Medium Film, Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Medizin und nicht zuletzt auch die Musik.

BEFREIUNG Die jüdische Sexualmoral, die grundsätzlich nicht lustfeindlich ist und viel Interpretationsspielraum zulässt, war ein Türöffner für feministische Bewegungen und in weiterer Folge auch für die sexuelle Befreiung.

Wie ein roter Faden zieht sich die Figur der Lilith durch die Ausstellung. Wer war diese Frau, die sich Adam nicht unterordnen, ja, nicht unter ihm liegen wollte? Eine Dämonin, als die sie oft dargestellt wurde? Oder eine emanzipierte Frau, die nichts anderes tat, als die Unterordnung unter einen Mann zu verweigern, ohne sich dabei aber von Gott abzuwenden.

»Das Judentum ist eine von Männern dominierte alte Religion«, sagt die Kuratorin Julia Windegger. Männer waren es, die über Jahrhunderte die Interpretation der Schriften innehatten. Aber, und das sagt Windegger ebenfalls: »Das Judentum ist zugleich jedoch auch eine Religion, in der es streng genommen ein Scheidungsgrund ist – und immer war –, wenn der Mann die Frau nicht sexuell erfüllen kann.«

Erfüllung versus Vergewaltigung. Da ist das eine große Thema, ohne das eine Ausstellung wie diese nicht auskommt: die Schoa, der Nationalsozialismus, eine Zeit, in der Sex und Machtfantasien miteinander einhergingen. Hier sind die Kuratoren durchaus überraschende Wege gegangen. Denn anstatt das blanke Grauen zusammenzufassen, versucht die Ausstellung auch, zu schildern, dass sich selbst in Konzentrationslagern Menschen ineinander verliebten.

Die Ausstellung ist noch bis zum 13. November zu sehen.

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