Spanien

Sefardische Juden können Pass beantragen

Konzert im sefardischen Zentrum in der Altstadt von Madrid Foto: epd

Wenn sie alte sefardische Volkslieder hört, hält es Alicia Sisso kaum auf ihrem Stuhl. Sie strahlt, hebt die Arme, wiegt sich hin und her. Spanien, sagt sie, bedeute mehr als nur die Wurzeln ihrer Familie. »Es ist, als wäre ich schon einmal hier gewesen, es hat für mich fast etwas Metaphysisches«, erzählt die jüdische Frau aus New York am Rande eines Konzerts im sefardischen Zentrum in der Altstadt von Madrid.

Alicia Sisso ist Sefardin. Ihre Vorfahren wurden wie alle spanischen Juden von den katholischen Königen Isabel und Fernando 1492 vor die Wahl gestellt, zum Christentum überzutreten oder das Land zu verlassen. Rund 500 Jahre danach will Spanien das Unrecht wiedergutmachen und den Nachkommen die spanische Staatsbürgerschaft anbieten. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt dem Parlament vor.

Ladino Das Verhältnis vieler Sefarden zu Spanien ist auch so viele Jahrhunderte nach der Vertreibung immer noch intensiv. Viele sprechen das etwas altertümlich klingende Spanisch, das sogenannte Ladino. Alicia Sisso lernte von ihrem Vater jedoch Haketia, die Sprache der nach Nordafrika geflohenen Juden.

Ihr Vater stammte aus Fez in Marokko. Mit der Zunahme antijüdischer Pogrome in Nordafrika setzte Anfang des 20. Jahrhunderts von dort eine neue Wanderungsbewegung ein: Viele Juden suchten Zuflucht in der spanischen Nordafrika-Enklave Melilla oder nach der Gründung des jüdischen Staates 1948 in Israel. So auch die Eltern von Alicia Sisso. Mit ihrem Mann ging sie später in die USA, war im New Yorker Stadtteil Queens für die Kulturarbeit zuständig. Inzwischen in Rente, betreibt sie heute ein Internetportal für Haketia.

Das Konzert mit sefardischer Musik aus dem alten Spanien war jüngst in Madrid der letzte Programmpunkt einer Tagung über Sefarden. Die Teilnehmer besuchten dabei auch symbolträchtige Zentren jüdischer Kultur in Spanien wie Toledo oder Ávila, in denen jüdische Dichter und Händler lebten, aber auch Bankiers, die den spanischen christlichen Königen die sogenannte »Reconquista«, die Eroberung der muslimischen Königreiche, erst möglich machten. Mindestens 100.000 Juden haben Schätzungen zufolge infolge der Vertreibung Spanien verlassen.

emotional Für Drita Tutunovic aus Belgrad war es der dritte Besuch in Spanien. Als sie das erste Mal Toledo sah, habe sie geweint wie ein Kind, erzählt die zierliche Frau. »Für uns sefardische Juden gibt es zwei wichtige Bezugspunkte: Israel und Spanien«, erklärt sie. Ihre Familie lebte ursprünglich in Thessaloniki in Griechenland, wo sich vor der Schoa eine der größten sefardischen Gemeinden befand.

Auch ihre Mutter wurde verschleppt, ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Dort kam Tutunovic 1944 zur Welt. An das sefardische Wiegenlied, das ihre Mutter ihr dort sang, kann sie sich noch heute erinnern. »Meine geliebte Erde, mein geliebtes Spanien, niemals werde ich dich vergessen«, vermischt sich ihr Gesang mit den Melodien des Lauteninstruments Laúd und der Geige von der Konzertbühne.

Tutunovic protestiert aber auch – wie viele andere – gegen die Bedingungen für die Vergabe der Staatsbürgerschaft. An den Stehtischen am Rande des Abschlusskonzerts in Madrid fragen Teilnehmer, ob Spanien vielleicht doch nur eine rein symbolische Wiedergutmachung anstrebt. Zumal das Gesetzgebungsverfahren langwierig ist. Schon 2012 war das Gesetz angekündigt, vor einem Jahr brachte die Regierung einen Entwurf ins Parlament ein, doch noch immer diskutieren die Abgeordneten um Details. In dieser Zeit hat das benachbarte Portugal längst ein ähnliches Angebot für die Sefarden umgesetzt.

Bedingungen Der Erwerb einer Staatsbürgerschaft sei eine ernsthafte Angelegenheit, verteidigt sich der konservative spanische Parlamentsabgeordnete Gabriel Elorriaga. Es werde zwei Bedingungen geben: Die Antragsteller müssten spanisch sprechen, Haketia oder Ladino. Und sie müssten einen Nachweis erbringen, Nachfahren der vor 500 Jahren Ausgewiesenen zu sein, etwa ein Zertifikat eines Rabbiners oder Vorsitzenden der örtlichen Gemeinde.

Der Vorsitzende der Föderation der jüdischen Gemeinden in Spanien, Isaac Querub, verleugnet nicht, dass er sich ein einfacheres Verfahren gewünscht hätte. Aber dennoch zeigt er sich zufrieden mit dem neuen Gesetz: »Spanien bietet uns die Staatsbürgerschaft an, ohne dass wir in Spanien leben oder unsere ursprüngliche Staatsbürgerschaft ablegen müssten. Dafür sind wir sehr dankbar«.

Bei der Vorlage des Gesetzesentwurfs vor einem Jahr schrieben die Zeitungen noch, dass damit 3,5 Millionen Juden Spanier werden könnten. Nach neuen Schätzungen der spanischen Regierung werden es jetzt aber höchstens 100.000 sein. Ab dem 1. Oktober sollen die ersten Anträge eingereicht werden können.

Drita Tutunovic glaubt nicht, dass viele Antragssteller wirklich in Spanien leben wollen. Sie selbst kann sich nicht vorstellen, aus Belgrad wegzugehen. Für Jüngere sei eine Auswanderung schon interessanter. Und die jüdische Gemeinde in Spanien könnte Zuwachs gut gebrauchen: Bei nur 45.000 Mitgliedern nimmt die spanische Öffentlichkeit kaum Notiz vom jüdischen Leben im Land.

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

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