Griechenland

Schulfrei wegen Schulden

Hoffen auf Spenden: Malstunde in der jüdischen Schule Foto: Jüdische Schule Athen

Mit dem Läuten der Pausenglocke unterbrechen die Schüler der sechsten Klasse ihr Basketballspiel und beeilen sich, um rechtzeitig im Computerkurs zu sein. Ihren Platz auf dem Hof der Athener jüdischen Schule nehmen zwei Dutzend kichernde Vier- und Fünfjährige ein, die Tanzschritte für ein Konzert zum Schuljahresende üben. »Eins, zwei, drei und kehrt«, singen die Betreuerinnen, während die Kinder durch ihr Programm hüpfen.

In Szenen wie dieser zeigt sich, was für eine erstaunliche Wiedergeburt die einzige jüdische Schule in Athen in den vergangenen zehn Jahren erlebt hat. Rund 70 Prozent aller jüdischen Kinder der Stadt lernen hier. Von solchen Zahlen können jüdische Schulen anderswo in der Diaspora nur träumen.

turbulenzen Doch die wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen im Land haben auch vor der jüdischen Gemeinde nicht Halt gemacht und gefährden die Schule in ihrer Existenz. Vor einigen Jahren hatte die Schule ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Seit ihrer Gründung im Jahr 1960 war die Anzahl der eingeschulten Kinder stetig gesunken. 2002 gab es weniger als 80 Schüler, man dachte über die Schließung nach. Viele sahen im drohenden Ende der Schule ein unheilvolles Zeichen für die etwa 3.500 Mitglieder zählende Gemeinde. »Diese Schule symbolisiert die jüdische Gemeinde und ihre Zukunft«, sagt Alvertos Taraboulous, der Vorsitzende des Schulausschusses.

Statt das Ende auszurufen, wurde ein ehrgeiziger und größtenteils erfolgreicher Plan umgesetzt, um der Schule neues Leben einzuhauchen. Die Grundidee war einfach: So viele Leute wie möglich dazu zu bringen, ihre Kinder an der sechsklassigen Schule anzumelden – durch das Angebot einer modernen Ausstattung und einer einladenden, freundlichen Umgebung, und das alles zu einem günstigen Preis.

Chuzpe Weil viele Eltern zögerten, ihre Kinder auf die Schule zu schicken, nachdem diese sich in einem Kindergarten in anderen Stadtteilen eingelebt hatten, gründete die jüdische Schule 2002 ihren eigenen Kindergarten und 2007 eine eigene Vorschule. »Wir begriffen, dass die Kinder, die unseren Kindergarten besuchten, auch dabeibleiben werden«, sagte Taraboulous. Werbung, die teilweise an Chuzpe grenzt, trägt ihren Teil bei: Wenn jüdische Frauen in Athen ihr Kind zur Welt bringen, erhält das Neugeborene von der Schule einen Geschenkkorb mit einem Zettel, auf dem steht: »Wir erwarten dich in zweieinhalb Jahren.«

Die Schule wird von der Athener jüdischen Gemeinde stark subventioniert. Eltern zahlen jährlich etwa 3.200 Euro pro Kind, an vergleichbaren Privatschulen sind es 8.000 bis 12.000 Euro.

Zwei weitere Schritte waren entscheidend dafür, mehr Kinder für die Schule zu gewinnen. Die Schule nimmt jetzt Kinder aus »gemischten Ehen« auf, und sie betreibt einen umfangreichen Busservice, der die Vororte komplett abdeckt. »Ohne diesen Service könnten viele nicht zu uns kommen«, sagt Taraboulous. Derzeit besuchen 136 Kinder die Schule, nach Auskunft von Rektor George Kanellos sollen es im nächsten Schuljahr 151 Kinder sein.

Misere Die wirtschaftliche und politische Krise Griechenlands droht den Bestand der Schule zu gefährden. Von Alvertos Taraboulous’ Büro in der Athener Innenstadt – weit weg von dem grünen Vorort, in dem die Schule steht – sind die Zeichen der Misere des Landes überall zu erkennen: der Berg Blumen, der den Ort markiert, wo ein Rentner sich aus Protest erschoss, wegen Demonstrationen gesperrte Straßen, ein Obdachloser, der um Geld bettelt.

Jeden Tag scheint die Misere von fünf Jahren brutaler Rezession, massiver Arbeitslosigkeit und den von der EU auferlegten Kürzungen tiefer in alle Winkel der jüdischen Gemeinde einzudringen. »Es gibt Eltern, die nicht bezahlen können oder mit der Zahlung im Verzug sind«, berichtet Kanellos. »In etlichen Familien arbeitet nur noch ein Elternteil, und viele, die eine eigene Firma besaßen, mussten schließen.«

Vergangenes Jahr war es nur ein Kind, für das die Gemeinde das Schulgeld komplett übernahm, dieses Jahr sind es sieben Kinder. »In den nächsten Jahren wird es noch schlimmer werden«, befürchtet Kanellos. »Wohlhabende Gemeindemitglieder werden gebeten, Geld zu spenden, aber die meisten Wohltäter, die wir in der Vergangenheit hatten, sind jetzt bankrott«, sagt Taraboulous.

Hilfe Auch die jüdische Gemeinde, die 40 Prozent des Schulhaushalts trägt, hat immer weniger Einnahmen, die vor allem aus Mietobjekten stammen. Vor einigen Monaten bat die Gemeinde israelische und internationale jüdische Organisationen um Hilfe. Im Februar stimmte die Jewish Agency for Israel dafür, über einen Zeitraum von zwei Jahren eine Million US-Dollar zu gewähren, damit jüdische Institutionen in Griechenland weiterhin tätig sein können. Auch andere jüdische Gruppen haben finanzielle Hilfe angeboten. Das American Jewish Joint Distribution Committee spendete 330.000 US-Dollar für gemeinnützige Organisationen und Schulstipendien.

»Wir wollten lange nicht um Hilfe bitten, aber nachdem wir alles getan hatten, um die Kosten zu reduzieren, kamen wir zu dem Schluss, dass wir nicht noch mehr kürzen können, ohne wesentliche Grundlagen kaputtzusparen«, erklärt Taraboulous. »Wir beschlossen, dass die Schule nicht darunter leiden darf.«

Da kein Ende der Krise in Sicht ist, befürchtet er, dass die jüdische Gemeinde bald wieder um Hilfe bitten muss. »Viele Griechen haben in der Vergangenheit Israel und andere jüdische Gemeinden unterstützt«, sagt er. »Jetzt ist die Zeit, uns zu helfen.«

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