Österreich

»Rothschild muss weg!«

Fungierte kürzlich als Einpeitscherin auf einer Anti-Corona-Demo Foto: dpa

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»Rothschild muss weg!«

Die Wiener Kultusgemeinde beobachtet mit Sorge, wie im Landtagswahlkampf antisemitisch agiert wird

von Stefan Schocher  10.09.2020 12:39 Uhr

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Gerade einmal drei Tage in der Politik war sie – und schon ihren Brotjob los: Christina Kohl, 24 Jahre alt, einst Flugbegleiterin bei der Lufthansa-Tochter Austrian Airlines (AUA), jetzt Berufspolitikerin.

Heinz-Christian Strache scheint mit der jungen Frau Großes vorzuhaben – nach der Art und Weise zu urteilen, wie er die 24-Jährige in seinem Team präsentierte. Denn an sich steht Kohl für die Wien-Wahl am 11. Oktober, bei der Strache, der gefallene Engel des österreichischen Rechtspopulismus, sein politisches Comeback feiern möchte, nur auf dem wenig aussichtsreichen 17. Listenplatz. Dennoch sorgt Christina Kohl für Schlagzeilen.

Verschwörungstheoretiker Ihren Job bei der AUA war Kohl los, nachdem – wie in diesen Kreisen Tradition – ein Video von ihr publik wurde. Zu sehen ist eine johlende Christina Kohl, die als Einpeitscherin auf einer Anti-Corona- und Verschwörungstheoretiker-Demo in Wien brüllt: »Antifa muss weg, Kurz muss weg, Soros muss weg, Rothschild muss weg, Rockefeller muss weg, Illuminati müssen weg.«

Wegen »antisemitischer Äußerungen« sei sie als Mitarbeiterin nicht mehr haltbar, hieß es seitens der AUA.

Jetzt beteuert Kohl: Mit ihrer Aussage darüber, wer alles »weg« müsse, habe sie »nicht nur Leute jüdischer Herkunft, sondern auch andere kritisiert« – etwa Kanzler Kurz, der in der Corona-Krise versagt habe. Und sie betont: Für Strache engagiere sie sich, weil ihr die FPÖ zu rechts sei.

Wien erlebt einen Wahlkampf, wie ihn Österreich noch nicht gesehen hat: Mit der FPÖ und dem Team HC Strache kämpfen gleich zwei Rechtsaußen-Parteien um den Einzug in den so wichtigen Landtag. Und die Koketterie mit antisemitischem, xenophobem und verschwörungstheoretischem Gedankengut ist beiden Parteien nicht fremd.

Tabubrüche Benjamin Nägele, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, überrascht es nicht, dass Ex-FPÖ-Chef Strache eine Partei gegründet hat, die »genau in diese Kerben schlägt«. In der Breite antisemitischer Aussagen aber sieht er doch eine »neue Qualität«.

»Tabus und rote Linien« seien in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschoben worden. Durch die Corona-Krise und die damit einhergehenden wirtschaftlichen und existenziellen Nöte und Ängste erhielten diese Ansichten mit einem Mal auch ein »sehr großes Potenzial«. Dass man da jetzt anfange »zu zündeln«, beobachte man in der IKG mit Sorge. Doch betont Nägele, dass man von der Situation in Deutschland mit Corona-Leugnern und Hygiene-Demos nach wie vor weit entfernt sei.

Philipp Mittnik, Leiter des Zentrums für politische Bildung, ortet aber eine klare Tendenz: eine kontinuierliche Relativierung des Holocaust durch die FPÖ und Strache, indem die Schoa mit anderen historischen Ereignissen gleichgesetzt werde, wie etwa der Vertreibung der Sudetendeutschen oder der Angliederung Südtirols an Italien. Da ist laut Mittnik das zum einen nachweislich sinkende historische Wissen, zum anderen aber auch eine »Scheu, sich klar von antisemitischen und auch antiislamischen Tendenzen abzugrenzen« – in allen Parteien. Und das, wie Mittnik sagt, »aus Angst davor, Wähler zu verlieren«.

Provokationen Für das Wiener Gemeindemitglied Michael, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sind es genau diese Dinge, die den Diskurs vergiftet haben. Waren antisemitische Äußerungen in den vergangenen 30 Jahren bewusste Provokationen für ein einschlägiges Publikum, so sei eine feindselige Haltung in den vergangenen Jahren salonfähig geworden – auch durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der sich seitens der SPÖ durch den PR-Strategen Tal Silberstein verunglimpft sah und politischen Konkurrenten quer durch die Bank immer wieder »Silberstein-Methoden« vorwarf.

Und dennoch sagt Michael: »Weitaus gefährlicher als die politische Ebene finde ich die gesellschaftliche. Die macht Angst – sowohl, was Antisemitismus, aber auch, was Islamophobie angeht.« Das ziehe sich bis in den Alltag.

Benjamin Nägele betont, dass gerade die Angriffe eines syrischen Migranten auf die Synagoge Graz und ihren Präsidenten Elie Rosen gezeigt hätten, dass Antisemitismus längst kein Alleinstellungsmerkmal der politischen Rechten ist: »Essenzielle Träger von Antisemitismus sind Verschwörungsmythen; und diese können sich in ganz unterschiedlichen Weltanschauungen und Bevölkerungsgruppen wiederfinden: von der österreichischen Flugbegleiterin bis hin zum syrischen Asylsuchenden.«

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