USA

Rebellisch und schön – wie Chloé

»Ich habe nie jemanden um Erlaubnis gebeten. Ich war für mein Leben selbst verantwortlich«: Gaby Aghion Foto: JM New York / Kazarian

Paris in den späten 40er-Jahren: Auch nach dem Zweiten Weltkrieg zog die Stadt des Lichts Künstler und Bohemiens an wie ein Magnet. Viele Linke und Intellektuelle lebten im Künstlerviertel Saint-Germain. Eine davon war Gaby Aghion, eine junge Jüdin, die in Ägypten aufgewachsen war und schon immer davon geträumt hatte, Paris zu erobern.

Dort gründete sie 1952 das Fashionlabel Chloé, das bis heute floriert. Aghion entwarf legere, bequeme, jugendliche Mode, die gleichzeitig hochwertig und elegant war, für berufstätige Frauen wie sie selbst. Damit designte sie Prêt-à-porter (bereit zum Tragen) in der Marktlücke zwischen maßgeschneidert und Kaufhaus. Der Legende nach hat sie den Begriff »Prêt-à-porter« sogar erfunden. Das Chloé-Design bedeutete einen Bruch mit den Konventionen, die Pariserinnen in steife Kostüme mit Hut und Handschuhen gesteckt hatten.

Diesem Befreiungsschlag und seiner Ini­tiatorin hat das Jüdische Museum in New York City nun eine Ausstellung gewidmet: Mood of the Moment: Gaby Aghion and the House of Chloé heißt diese und ist noch bis Mitte Februar zu sehen. Neben Details aus Aghions spannendem Leben sind Dutzende Chloé-Kreationen zu bewundern.

Eigenes Geld verdienen

Geboren als Gabrielle Hanoka wuchs Aghion in einer wohlhabenden frankophilen Familie im ägyptischen Alexandria auf. Ihre Vorfahren waren griechische und italienische Juden. Der Vater war Manager einer Zigarettenfabrik. Es war wohl die Mutter, die in Aghion die Begeisterung für Mode geweckt hatte. Oft kamen ägyptische Näherinnen vorbei, die für sie die Garderobe aus Pariser Modemagazinen nachschneiderten.

Als Aghion 19 Jahre alt war, heiratete sie ihre Jugendliebe, Raymond Aghion, und sie zogen nach Paris, wo sie mit Mode ihr eigenes Geld verdienen wollte, während ihr Mann später eine Galerie eröffnete.
Gaby Aghion tat ihren ersten Schritt zum eigenen Label, als sie einen Ballen Popeline kaufte, strukturierte Baumwolle, gerade einmal genug für sechs Kleider. Zu dem Namen »Chloé« inspirierte sie eine Freundin.

Das Label sollte rund und weich klingen, so wie feminine Kurven. Ihre intellektuellen Freunde vom Rive Gauche glaubten, sie würde nach spätestens zwei Wochen hinwerfen. Aber weit gefehlt. Aghion entwarf ihre Kleider, manche bodenlang, manche kurz, minimalistisch und luxuriös, aus Chiffon, Baumwolle, Seide und Spitze, kleine Schwarze mit bunten und goldenen Applikationen, schmale Röcke und vor allem Blusen, in unendlichen Varianten von Erdtönen, und auch sandfarbene Kleidung, die an ihre ägyptische Heimat erinnerte.

»Ich habe kein Talent, ich erkenne es in anderen.«

Gaby Aghion

Die erste Modenschau fand 1956 im berühmten »Café de Flore« am Boulevard Saint-Germain statt, zu der sie Freunde und Bekannte einlud. Sie sollte ungewöhnlichen Veranstaltungsräumen treu bleiben. Sie wusste von Anfang an, was sie wollte, und bestand darauf, dass Boutiquen, die ihre Kreationen verkauften, ihr – gut sichtbares – Label an den Kleidern ließen und es nicht durch ein eigenes ersetzten, wie es häufig üblich war.

Eine arbeitende Frau mit einer eigenen Firma war im Paris der 50er-Jahre ungewöhnlich, erst recht, als Gaby ihren Sohn bekam, den sie neben der Karriere als Modelabel-Besitzerin großzog. Manche Kunden glaubten gar, dass ihr Mann der kreative Kopf hinter der Firma sei. Dass sie Jüdin war, säkular und – zumindest in jungen Jahren – Kommunistin, behielt sie meist für sich. Auch in der Ausstellung findet sich eher wenig dazu.

Bald zog sich Aghion ins Management der Firma zurück. Die künstlerische Leitung übertrug sie 1966 auf einen jungen deutschen Designer, der in Paris lebte: Karl Lagerfeld. Der eigensinnige Modeschöpfer wurde 1974 Chefdesigner von Chloé; und Chloé verschaffte ihm den Durchbruch. »Ich habe kein Talent, ich erkenne es in anderen«, hat Aghion einst gesagt. Sie scheute das Scheinwerferlicht und konzentrierte sich lieber darauf, als Unternehmerin kreativ zu sein. Ob es für Aghion eine Rolle spielte, dass Lagerfeld Deutscher und sein Vater Mitglied in der Nazi-Partei gewesen war, ist nicht bekannt. Die Ausstellung thematisiert es nur am Rande.

Internationaler Durchbruch dank Chloé

Anfangs schuf Lagerfeld Kleider ganz im Stil von Aghion, fließend und luftig, doch bald wechselte er zu mutigeren Stücken mit breiten Schultern und Fellapplikationen, bis er Frauen als Violinen verkleidete. Nach zwei Jahrzehnten wechselte er zu Chanel. 1997 wurde Stella McCartney, die damals 25-jährige Tochter des Beatles Paul, Chefdesignerin, die eine Modenschau mit femininen Kleidern mit einem Tonband der berüchtigten Rede von US-Präsident Bill Clinton unterlegte: »Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau, Monika Lewinsky.«

Mit McCartney wurde Chloé poppiger. Es gab mittlerweile auch T-Shirts mit bunten Mustern. Andere internationale Designer folgten: Phoebe Philo, Natacha Ramsay-Levi und Gabriela Hearst, deren Kreationen alle in der Ausstellung zu sehen sind. Während Aghion Chloé geleitet hat, gab es sieben Chefdesignerinnen und -designer. Für alle war es der Startschuss zu einer Karriere.

1985 schließlich verkaufte Aghion das Label an eine Schweizer Firma. 2014 starb sie mit 93 Jahren in ihrem geliebten Paris. Ihr Ethos lebt weiter: »Ich habe nie jemanden um Erlaubnis gebeten. Ich war für mein Leben selbst verantwortlich.« Ihre Enkelin Mikhaela arbeitet noch heute für Chloé.

»Mood of the Moment« im Jewish Museum in New York ist noch bis zum 18. Februar 2024 zu sehen. Für mehr Informationen: thejewishmuseum.org

USA

Düsterer »Nice Jewish Boy«

Seinen ersten Kinofilm sah Ari Aster im Alter von vier Jahren und ist fast daran gestorben. Als junger Hollywood-Regisseur mischt er nun das Horror-Genre auf

von Sarah Thalia Pines  14.07.2025

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Australien

Judenhass in Down Under

Mit unerwarteter Brutalität und Hemmungslosigkeit breitet sich der Antisemitismus im Land aus. Doch die jüdische Gemeinschaft gibt nicht auf

von Amie Liebowitz  10.07.2025

Großbritannien

BeTe’avon!

Das Jewish Museum London bittet britische Juden um Rezepte fürs Schabbatessen. Auf der Suche nach dem, was schmeckt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.07.2025

USA

Die US-Regierung, Trump und der Fall Jeffrey Epstein

Trump wollte die Akten zum Sexualstraftäter Epstein veröffentlichen, seine Mitarbeiter verbreiteten Verschwörungstheorien. Nun wollen sie davon nichts mehr wissen - das macht einige Trump-Fans wütend

von Benno Schwinghammer  09.07.2025

Spanien

Mallorca hat einen neuen Rabbiner

Rund 1000 Juden leben auf der bei deutschen Touristen beliebten Baleareninsel

 09.07.2025

Österreich

»Geschichte wurde schon immer politisiert«

Die US-Historikerin Sarah Abrevaya Stein über Gier, Künstliche Intelligenz und den Baron-Wissenschaftspreis

von Stefan Schocher  09.07.2025