Kanada

Rad des Gewissens

Vier Zahnräder im Teufelskreis: Libeskinds Entwurf in einer Computersimulation Foto: BL

Der renommierte Architekt und Designer Daniel Libeskind hat den Auftrag erhalten, in Halifax ein Denkmal zu schaffen, das an ein dunkles Kapitel der kanadischen Einwanderungsgeschichte erinnert: 1939 hatten die Behörden rund 900 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland abgewiesen, deren Schiff »St. Louis« in Halifax anlegen wollte. Das Schiff, das im Mai Hamburg verlassen hatte, musste nach Europa zurückkehren. Mehr als ein Drittel der Menschen fiel später den Nazis in die Hände und wurde in den Gaskammern ermordet.

Aus der Tragödie der St. Louis und der damals von Kanada betriebenen antijüdischen Einwanderungspolitik könnten »universelle Lehren über die Bedeutung von Toleranz, Verständnis und Respekt vor religiöser und kultureller Verschiedenheit gezogen werden«, sagt Mark Freiman, Präsident des Canadian Jewish Congress (CJC). Der Verband ist Auftraggeber des Projekts, das von der kanadischen Regierung mit 500.000 Dollar gefördert wird. Angesichts der vielen Immigranten- und Flüchtlingsgruppen, die das Land seitdem aufgenommen habe, sei es »für die heutige Generation wichtig zu wissen, dass Kanada damals zynisch die Tore für die St. Louis geschlossen hat«, betont Freiman.

Dauerleihgabe Das Denkmal soll im Einwanderungsmuseum Pier 21 in Halifax zu sehen sein. Eigentümer ist zwar der CJC, es wird aber dem Museum als Dauerleihgabe überlassen. »Es soll in der Nähe der Tür stehen, durch die zahllose Einwanderer gingen und durch die auch die 900 jüdischen Flüchtlinge gegangen wären«, sagt Tanya Bouchard, Leiterin der für Ausstellungen zuständigen Abteilung von Pier 21.

Dies aber war jenen Menschen verwehrt, die voller Verzweiflung Deutschland in der Hoffnung verlassen hatten, dem drohenden Unheil zu entkommen. Am 27. Mai 1939 hatte die St. Louis mit 937 jüdischen Passagieren an Bord in Hamburg abgelegt. Die Auswanderer hatten Visa für Kuba. Aber zwischen Visa-Erteilung und Ankunft in Havanna vollzog sich auf der Insel ein Regierungswechsel. Die neue, pro-faschistische Regierung verweigerte fast allen Flüchtlingen das Asyl. Mit 900 Passagieren an Bord steuerte Kapitän Gustav Schröder die USA an. Die Küstenwache aber verhinderte, dass die St. Louis in einen Hafen in Florida einfuhr.

Schröder nahm Kurs Richtung Halifax und hoffte, dass Kanada die Flüchtlinge aufnehmen würde. Vergeblich. Gegenüber jüdischen Einwanderern herrschte eine Gesinnung, die mit dem Zitat »None is too many« – selbst keiner ist schon zu viel – beschrieben wird. Diese Wendung ist laut CJC-Direktor Bernie Farber im Protokoll einer Sitzung im Einwanderungsministerium aus den späten 30er-Jahren enthalten. Es stammt von einem leitenden Beamten.

Hilfe Schröder musste das Schiff wieder zurück nach Europa fahren. Mithilfe jüdischer Organisationen gelang es, Großbritannien, Belgien, die Niederlande und Frankreich zu bewegen, die Flüchtlinge aufzunehmen. Glück hatten am Ende nur diejenigen, die in Großbritannien an Land gehen konnten. »Mehr als ein Drittel der Passagiere wurde in den Nazi-Gaskammern und Konzentrationslagern ermordet«, sagt Farber.

Im vergangenen Jahr war rund um den 70. Jahrestag der St.-Louis-Tragödie die Idee entwickelt worden, mit einem Mahnmal daran zu erinnern. Mehrere Künstler reichten Vorschläge ein, darunter der 1946 in Polen geborene jüdische Architekt Daniel Libeskind, der unter anderem das Jüdische Museum Berlin entworfen hat.

Das von Libeskind vorgeschlagene zylinderförmige Denkmal heißt »Rad des Gewissens«. Vier Zahnräder unterschiedlicher Größe, die Hass, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus darstellen, greifen ineinander und drehen sich. Sie symbolisieren die Gänge einer Schiffsmaschine und einer zynischen Bürokratie, schreibt Libeskind. Es ist ein Mechanismus, der das Rad in einen Teufelskreis versetze, der »für viele Menschenleben eine Tragödie und Schande für Kanada brachte«.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Spanien

»Haut ab, ihr Hurensöhne« - Wirt vertreibt Israelis

Ein Gastwirt rastet gegenüber einer Gruppe israelischer Touristen aus, beschimpft sie und verweist sie des Lokals

von Michael Thaidigsmann  11.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Australien

Judenhass in Down Under

Mit unerwarteter Brutalität und Hemmungslosigkeit breitet sich der Antisemitismus im Land aus. Doch die jüdische Gemeinschaft gibt nicht auf

von Amie Liebowitz  10.07.2025

Großbritannien

BeTe’avon!

Das Jewish Museum London bittet britische Juden um Rezepte fürs Schabbatessen. Auf der Suche nach dem, was schmeckt

von Sophie Albers Ben Chamo  10.07.2025

USA

Die US-Regierung, Trump und der Fall Jeffrey Epstein

Trump wollte die Akten zum Sexualstraftäter Epstein veröffentlichen, seine Mitarbeiter verbreiteten Verschwörungstheorien. Nun wollen sie davon nichts mehr wissen - das macht einige Trump-Fans wütend

von Benno Schwinghammer  09.07.2025

Spanien

Mallorca hat einen neuen Rabbiner

Rund 1000 Juden leben auf der bei deutschen Touristen beliebten Baleareninsel

 09.07.2025

Österreich

»Geschichte wurde schon immer politisiert«

Die US-Historikerin Sarah Abrevaya Stein über Gier, Künstliche Intelligenz und den Baron-Wissenschaftspreis

von Stefan Schocher  09.07.2025

Iran

Esthers Kinder

Wie die älteste Diaspora-Gemeinschaft 2700 Jahre überlebte – und heute erneut um ihre Existenz kämpft

von Stephen Tree  09.07.2025