Großbritannien

Pracht der Anerkennung

Säulen, Turmspitzen und grazile Stuckornamente sind Motive der magischen Aufnahmen des herrschaftlichen Waddesdon Manor. 30 Fotografien gehören zu einem groß angelegten Rechercheprojekt der Oxford University, das der Frage nachgeht: Gibt es so etwas wie ein »jüdisches« Landhaus?

Aufgespürt wurden Häuser, die von Juden gebaut oder renoviert wurden oder in deren Besitz waren – und dies nicht nur in Großbritannien, sondern europaweit. Dabei ist der Begriff des »Country House«, übersetzt mit Landhaus, sehr flexibel, denn die meisten Häuser sind eher Herrenhäuser, gar kleine Schlösser und tragen Namen wie Solomon Estate, Château de Ferrières, Schloss Freienwalde oder Villa Montesca. Die kleine Villa Liebermann am Berliner Wannsee wurde auch in diesen Reigen aufgenommen. Dort wird die Ausstellung im Herbst in abgewandelter Form zu sehen sein.

Die Bauten sind Ausdruck davon, wie sich das jüdische Bürgertum integriert hatte.

Etwas typisch »Jüdisches« gibt es an den Häusern nicht auszumachen, dazu sind sie stilistisch zu unterschiedlich. Doch sind die Bauten Ausdruck davon, wie sich das jüdische Bürgertum in sein jeweiliges Land integriert und in ihm positioniert hat. Um das Wesen der Häuser zu erfassen und so ihren Besitzern näher zu kommen, wandte sich das Projektteam an die Architekturfotografin Hélène Binet, die sich mit wahren Charakterstudien von Architektur einen Namen gemacht hat.

Sie schuf fotografische Essays von neun Häusern, die nicht alle in der Ausstellung vertreten sind. Binet nutzte Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen und stellte vor allem Details in den Fokus. Ihre Aufnahmen, kombiniert mit den Ergebnissen der Recherche, sind in dem Buch Jewish Country Houses zu bewundern, das sehr viel mehr als Häuser porträtiert.

Die Ausstellung offenbart durch die Kuration der Bilder ganz neue Facetten. Juliet Careys Bildgruppierung rückt Häuser zusammen, die auf der Landkarte Meilen voneinander entfernt sind.

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Ein Blickfang ist das Mosaik im griechischen Stil mit elegant rankendem Efeu auf weißem Grund. Es stammt aus der Villa Kérylos an der französischen Riviera. Das Buch gibt Aufschluss: Ihr Besitzer Théodore Reinach hatte ein Faible für die griechische Antike und ließ seine Villa in diesem Stil zwischen 1906 und 1912 bauen. Sie ist offen für Besucher und kann auch von der Villa Ephrussi de Rothschild aus gesehen werden, die ebenso verzaubert.

Das nächste Foto holt den Betrachter zurück ins nördliche Europa: eine verwitterte Tapete mit den Dornenzweigen eines Brombeerbusches und zwitschernden Rotkehlchen auf matt-goldenem Grund. Ein Detail von Strawberry Hill, einem Anwesen im Südwesten Londons. Ursprünglich ein Landhaus, wurde es 1747 vom Schriftsteller und Politiker Horace Walpole gekauft und bis 1797 zu einem Schlösschen im gotischen Stil umgebaut.

Bereits zu seinen Lebzeiten gab es Führungen durch den öffentlichen Bereich des Hauses, um seine außergewöhnliche Schöpfung bestaunen zu lassen. Später kam das Haus in den Besitz der Familie Waldegrave, in die Frances Braham eingeheiratet hatte. Als Tochter eines bekannten jüdischen Opernsängers wurde sie stets als Jüdin betrachtet, und so empfand sie sich auch. Als Lady Waldegrave verhalf sie dem inzwischen heruntergekommenen Gebäude um 1850 zu neuem Glanz und erweiterte es sogar. Nach ihr übernahm der jüdisch-deutsche Bankier Baron Hermann de Stern das Haus.

Anmut eines Rokkoko-Schmuckstücks

Links der Brombeerzweige wird das Pflanzenthema in reduzierter, aber atmosphärischer Form weitergeführt: sanfte Schatten kleiner Blätter eines Bäumchens, die von der Abendsonne auf eine verwaschene Wand geworfen werden. Es ist eine Impression der Liebermann-Villa am Wannsee. Wüsste man dies nicht, könnte man sich beim Anblick auch in Italien wähnen. Der Maler Max Liebermann hat sein Sommerhaus 1910 im klassizistischen Stil bauen lassen. Teil der Architektur ist eine schlanke dorische Säule, die auf Binets Bild die linke Seite flankiert. Diese Komposition ist charakteristisch für viele ihrer Aufnahmen: ein Spannungsfeld zwischen starren, geraden Linien, oft Vertikalen oder Horizontalen, und verspielten, geschwungenen Linien.

Den Abschluss der Bildreihe bilden zierlich-verschnörkelte, aus Metall geformte Röschen – Dekor auf einer Uhr in Waddesdon Manor. Sie haben die Anmut eines Rokoko-Schmuckstücks und sind bezeichnend für Haus und Hausherr. Waddesdon Manor geht auf den Bankier und Politiker Baron Ferdinand de Rothschild zurück, der es zwischen 1874 und 1889 im Renaissance-Stil eines französischen Chateaus errichten ließ. Es diente der Präsentation seiner umfangreichen Kunst- und Antiquitätensammlung. Neben Wer­ken englischer und niederländischer Ma­lerei gehörten französische Möbel des 18. Jahrhunderts und Porzellan zu seiner Leidenschaft. 1957 übergab die Familie Rothschild das fürstliche Anwesen mit seinen 240 Zimmern und fast 50 Hektar Land dem britischen National Trust. Die Familie leitet es jedoch weiterhin durch die Rothschild-Stiftung.

Von ganz anderer Architektur zeugt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme durch eine Fensterfront. Zu sehen ist das grazile schattengleiche Muster von Gräsern, Blättern und Pflanzen vor einer Betonwand. Ein Durchgang gibt den Blick auf ein Fenster auf der anderen Seite des Raumes frei. Dahinter der Himmel und die Ahnung einer Baumkrone. Der moderne Bau ist die Villa Tugendhat in Brno in Tschechien, die Mies van der Rohe im Auftrag von Grete und Fritz Tugendhat entwarf und die 1930 von dem Paar bezogen wurde. Das Haus unterscheidet sich markant von seinen Vorgängern: Es ist kein Landhaus, wohin sich die Besitzer zurückzogen, sondern ein Wohnhaus auf einer Anhöhe in der Stadt, und im Gegensatz zur Villa Kérylos, Strawberry Hill, Waddensdon Manor und vielen anderen, wurde hier nicht historisierend, sondern im Trend der Zeit gebaut, der architektonischen Avantgarde, dem Neuen Bauen. Interessant ist, selbst wenn es nirgends erwähnt wird, dass viele Architekten dieses fortschrittlichen Bauens jüdisch waren.

Fußboden im maurischen Stil mit sechseckigem Sternmuster

Meist arbeiteten die jüdischen Auftraggeber mit Architekten ihres Vertrauens zusammen, unabhängig von deren Religion. Zudem reflektierten die Repräsentationsbauten selten die Religion der Bewohner. Eine Ausnahme bildete Moses Montefiores Anwesen mit einem Mausoleum, dessen Fußboden im maurischen Stil mit sechseckigem Sternmuster Binet zu einem Bild inspirierte, das nun in die Ausstellungsräume führt.

Montefiore, Geschäftsmann und Philanthrop sefardischer Herkunft, war der erste Jude, der in den Adelsstand erhoben wurde. Eine Reise nach Jerusalem 1827 verband ihn stärker mit seiner Religion. Als er 1831 das Anwesen East Cliff Lodge in Ramsgate erwarb, baute er neben dem Mausoleum zusätzlich die Montefiore-Synagoge und eine sefardische Jeschiwa, heute das Judith Lady Montefiore College. Die Synagoge, 1833 mit großen Feierlichkeiten eröffnet, war mit ihrer öffentlichen Präsenz ein Statement, bedenkt man, dass Synagogen zuvor fern des öffentlichen Blicks gehalten wurden.

Zierlich-verschnörkelte metallene Röschen sind bezeichnend für Haus und Hausherr.

Die Montefiore Synagoge existiert bis heute. Und sie kann sinnbildlich für die »Jewish Country Houses« gelesen werden: ihre Sichtbarkeit als Zeichen des Angekommenseins, hinter dem sich ein langer Weg verbirgt; die Geschichte der Juden von einer diskriminierten Minderheit im Ghetto zu gleichwertigen, erfolgreichen, hochgeachteten und geschätzten Mitgliedern der Gesellschaft, die dem jeweiligen Land, in dem sie lebten, viel zu geben hatten.

Das »Jewish Country House«–Projekt lässt in Hélène Binets kunstvollen, Ruhe ausstrahlenden Architekturbildern eine besondere Facette des jüdischen Erbes in Europa sichtbar werden.

Die Ausstellung in Waddesdon Manor läuft noch bis zum 22. Juni.

Kommentar

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